Politik/Ausland

Brexit könnte hunderttausende EU-Bürger in Illegalität führen

Großbritannien wird die EU aller Voraussicht nach Ende Jänner verlassen. Mehr als drei Jahre nach dem Brexit-Referendum hat das Londoner Unterhaus den mit Brüssel ausgehandelten Vertrag für den EU-Ausstieg gebilligt. 330 Abgeordnete votierten am Donnerstag für die Gesetzesvorlage, 231 dagegen. Für EU-Bürger in dem Land ändert sich danach einiges, sie sollten deshalb bald aktiv werden.

Was passiert in der Übergangsphase bis Ende 2020?

Während der Übergangsphase, in der die EU und Großbritannien über ihre künftigen Beziehungen verhandeln, ändert sich für die geschätzt 3,6 Millionen in Großbritannien lebenden EU-Bürger sowie Reisende erst einmal nichts. Sie können weiterhin mit ihrem Personalausweis und ohne Visum einreisen, müssen sich nicht anmelden oder können kostenfrei zum Arzt.

Was müssen EU-Bürger jetzt tun?

Wer es nicht schon getan hat oder wer erst während der Übergangsphase nach Großbritannien zieht, sollte sich in den nächsten Monaten um einen Aufenthaltstitel bewerben (sogenanntes EU Settlement Scheme). Dafür haben EU-Bürger bis Ende Juni 2021 Zeit.Die Bewerbung erfolgt kostenlos über eine Internetseite; die Identifizierung funktioniert via Smartphone. Wer sich nicht rechtzeitig beworben hat, riskiert die Abschiebung.

Welche Voraussetzungen gelten für die Aufenthaltsgenehmigung?

Es gibt zwei Titel: den "pre-settled status" und den "settled status". Voraussetzung für beide ist, dass die Bewerber vor Abschluss der Übergangsphase Ende Dezember 2020 auf die Insel ziehen. Wer bis zu dieser Frist weniger als fünf Jahre durchgängig in Großbritannien gelebt hat, bekommt den "pre-settled status" zugesprochen. Wer länger als fünf Jahre im Land ist, bekommt den "settled status".

Was umfassen die Aufenthaltstitel?

Beide Titel garantieren weitestgehend die gleichen Rechte wie bisher. Erfolgreiche Bewerber dürfen in Großbritannien arbeiten, kostenfrei zum Arzt, zu den Bedingungen für Einheimische studieren, Sozialleistungen beantragen und ohne Visum ein- und ausreisen.

Wer den "pre-settled status" bekommt, darf das Land zwei Jahre am Stück verlassen, ohne seinen Titel zu verlieren. Die Genehmigung ist aber insgesamt auf fünf Jahre befristet. Wer vom "pre-settled" in den "settled status" wechseln möchte, muss sich erneut bewerben. Der "settled status" gilt lebenslang - wobei die Betroffenen auch hier nicht länger als fünf Jahre am Stück das Land verlassen dürfen.

Welche Probleme gibt es?

Die Lobbyorganisation der EU-Bürger in Großbritannien, the3million, rechnet damit, dass sich hunderttausende EU-Bürger nicht bewerben werden - sei es, weil sie mit Technik nicht umgehen können oder sich gar nicht bewusst sind, dass auch sie vom Brexit betroffen sind. Sie wären nach Mitte 2021 illegal im Land. Die Bewerbung um den Aufenthaltstitel sei zudem aufwendig und fehleranfällig.

Problematisch sei, dass es keinen physischen Nachweis wie eine Ausweiskarte gibt, sondern nur ein Online-Register, in dem Arbeitgeber und Vermieter die Aufenthaltsgenehmigung überprüfen müssen. Die Internetseite sei schon mehrfach ausgefallen.

Kritisch sei zudem, dass viele Rechte der EU-Bürger nicht in einem internationalen Vertrag festgeschrieben sind, sondern teilweise jederzeit durch die Regierung geändert werden können. Zwar soll es eine Stelle geben, die über die Einhaltung der Rechte aus dem Brexit-Deal wacht - es gibt aber Zweifel an deren Unabhängigkeit.

Wie geht es nach der Übergangsphase weiter?

In einer unverbindlichen Erklärung haben die EU und die britische Regierung vereinbart, dass für Kurzzeit-Reisende Visa-Freiheit herrschen soll. Besondere Regelungen soll es auch für Forschungs-, Studien- und Ausbildungsvorhaben sowie Jugendaustausch-Programme und Geschäftsreisende geben. Auch der weitere Bezug von Sozialleistungen soll geregelt werden.

Wichtiger Streitpunkt ist, wer künftig dauerhaft auf die Insel ziehen darf. Während die britische Regierung die Einwanderung einschränken und ein Punktesystem nach australischem Vorbild einführen will, dringt das EU-Parlament darauf, Arbeitnehmerfreizügigkeit zur Bedingung für ein künftiges Freihandelsabkommen zu machen.