Aus der Kärntner Provinz zum roten EU-Spitzenkandidaten
Im zweisprachigen Südkärnten verwurzelt zu sein, ist noch kein Qualitätsmerkmal, aber schaden tut es auch nicht. Eugen Freund ist am Schnittpunkt verschiedener Sprachen, Kulturen aber auch Nationalitäten-Konflikte aufgewachsen.
Als sechs Wochen altes Baby kam er mit seinen Eltern von Wien nach St. Kanzian am Klopeinersee. Hier, mitten im Ferienort, führte sein Vater eine Landarzt-Praxis. Im Garten steht noch heute eine Sternwarte, die Eugen Freunds Großvater errichten ließ. Ferne Leuchtkörper am schwarzblauen Nachthimmel zu erspähen, das hat der Kärntner früh erlernt: Die Sternwarte, eine Metapher für seine Neugierde.
Provinzielle Enge, die man oft in Kärnten erlebt, hat es in der Familie Freund nicht gegeben. Seine 2001 verstorbene Mutter, die Galeristin Inge Freund, gehörte zu den wichtigsten Kunstförderinnen Kärntens. In ihrer „Galerie Freund“, in einem der schönsten Innenhöfe Klagenfurts, stellte sie junge Talente aus.
Hier kam es auch regelmäßig zu Begegnungen Kärntner Intellektueller mit ausländischen Gästen. Auf klapprigen Camping-Stühlen und den modernen Bildern im Hintergrund wurde debattiert, über die Lage der Kärntner Slowenen oder gesellschaftliche Zukunftskonzepte.
Ein Satz der Galeristin, einer gebürtigen Deutschen, beschreibt die damalige Atmosphäre, das Biotop der Freunds: „Moderne Kunst ist eine Nagelprobe für Toleranz.“
Das Elternhaus von Eugen Freund war liberal, weltoffen, auf politische Diskussionen und den Austausch mit Kunst- und Kulturschaffenden fokussiert. Kein Wunder, dass er in diesem Umfeld Journalist geworden ist und als Gymnasiast in Klagenfurt Texte über den Kärntner Ortstafelsturm verfasst und veröffentlicht hat.
Die bürgerliche Sozialisation, etliche Jahre in New York und Washington sowie sein Job im ORF haben Eugen Freund geprägt. Diese Erfahrungen, inhaltlich und kommunikativ, kann er im Biotop des Europäischen Parlaments nun brauchen und einsetzen.
Seine Batterien auftanken kann er zwischendurch sicher in seinem Haus am Südkärntner Turnersee.
Ein Journalist wird von der SPÖ zum Spitzenkandidaten für die EU-Wahl gemacht – das gab es schon einmal: 1999, als Hans-Peter Martin für die Roten kandidierte. „Die Situation heute ist nicht unähnlich jener damals“, sagt Martin zum KURIER. 1999 sei die Haider-FPÖ in Richtung Platz eins marschiert; heute drohe die SPÖ zumindest bei der EU-Wahl von den Freiheitlichen überholt zu werden. „Der Herr Freund muss jetzt zeigen, dass er in der Lage ist, die Wähler, die zur FPÖ neigen, zur SPÖ zu holen“, sagt Martin. Welche Hürden sieht er für Ex-ORF-Mann Freund? „Bei so manchen in der Partei: Viel Spaß! Das habe ich damals unterschätzt: Viele im Parteiapparat wollen dich nicht. Das Grundgefühl des fleißigen Funktionärs ist: Von uns ist keiner gut genug für Platz eins – und jetzt soll ich für den laufen?“
Martins Rat: „Herr Freund muss den Funktionären schnell Loyalität unter Beweis stellen. Das ist eine Zwickmühle: Wenn er zu sehr Genosse wird, verliert er den Vorteil eines frischen Gesichts in der aktiven Politik.“
Im Parlament, glaubt Martin, laufe ein Quereinsteiger wie Freund Gefahr, „kalt zu verhungern: In einen Wahlkampf zu gehen, ohne zu wissen, wie das Parlament funktioniert – wenn man da dem Routinier Othmar Karas gegenübersitzt, kann man schnell an Anchorman-Glanz verlieren.“
Wer im Mai antritt
Ob er selbst am 25. Mai zur Wahl steht, hat Martin noch nicht entschieden: „Es geht ganz klar Richtung Kandidatur. Die endgültige Entscheidung hängt davon ab, ob der ORF mir in der Berichterstattung eine faire Chance gibt.“
Offen ist auch, ob sein ehemaliger Mitstreiter Martin Ehrenhauser antritt. Er könnte Spitzenkandidat einer Wahlplattform aus KPÖ, Piraten und Der Wandel werden. Fix dabei sind die NEOS sowie Ex-BZÖ-Mandatar Ewald Stadler mit der neuen Liste REKOS. Das Team Stronach überlegt noch.
Ex-ORF-Journalist Eugen Freund hat an der Leitung der SPÖ-Delegation im EU-Parlament kein Interesse: Der designierte SPÖ-Spitzenkandidat für die EU-Wahl wünsche sich Jörg Leichtfried in dieser Position, sagte er dem Standard. Freund selbst wolle sich auf seine eigenen Stärken konzentrieren und zu einem konstruktiveren Diskurs über Europa beitragen.
Wenig Enthusiasmus
Nicht gerade mit großer Freude haben die SPÖ-Europaabgeordneten die Spitzenkandidatur des ehemaligen ORF-Moderators kommentiert. Der Delegationsleiter der SPÖ-Europamandatare Leichtfried erklärte am Dienstag im EU-Parlament in Straßburg, er sei vor sieben Tagen informiert worden.
Gespräche mit Eugen Freund habe es bisher aber keine gegeben, erklärten auch die drei weiteren EU-Abgeordneten Evelyn Regner, Karin Kadenbach und Josef Weidenholzer. Der fünfte im Bunde, der Fraktionschefs der Sozialdemokraten im EU-Parlament, Hannes Swoboda, hatte bereits Montagabend die Entscheidung für Freund als positiv bezeichnet und von einem guten Team gesprochen.
Leichtfried erklärte nun ebenfalls, dass es ein "sehr gutes Team, das personell gut besetzt ist", mit Freund geben werde. Es müsste gelingen, die Mandatszahl von fünf Abgeordneten zu halten. Darauf angesprochen, dass das nicht gerade nach rasender Begeisterung klingt, sagte Leichtfried, "oh ja, ich bin sehr begeistert. Wir können die EU-Wahl gewinnen".
"Verdammt viel zu tun"
Regner betonte, es gebe "verdammt viel zu tun für uns als SPÖ". In den letzten Jahren habe gerade die Debatte um die Sozialunion gefehlt. Hier gelte es, die Menschen mitzureißen. Leichtfried sagte, "wir gehen als linke Bewegung in den Wahlkampf, um am Ende ein sozialeres Europa zu erreichen".
Freund, der neue Portisch?
Bundeskanzler Werner Faymann zeigte sich tags zuvor freut, dass die SPÖ mit dem ehemaligen ZiB1-Moderator Eugen Freund einen sehr kompetenten Kandidaten als EU-Spitzenmann zur Verfügung hat. Dass Freund tatsächlich SPÖ-Spitzenkandidat wird, wollte er am Montag in der Puls 4-"News Arena" aber noch nicht formell bestätigen, weil die Parteigremien - "das sind 80 Leute" - das erst am Donnerstag beschließen.
Aber Faymann nützte die Gelegenheit, um Freund in höchsten Tönen zu loben. Der künftige SPÖ-EU-Spitzenkandidat erinnert ihn an den legendären ORF-Journalisten Hugo Portisch, bekundete der SPÖ-Chef, und pries die "Menge Erfahrung", die Freund einbringe.
Karas: "Keine Erfahrung"
In der ÖVP löste die Personalauswahl der SPÖ Skepsis aus: Delegationsleiter Othmar Karas hat Freund als "Neuling in der Politik ohne Erfahrung" bezeichnet. Am Rande der Tagung des EU-Parlaments am Dienstag in Straßburg sagte Karas, "ich sehe ihn als Mitbewerber in einem hoffentlich fairen Wahlkampf". Auch der neue Generalsekretär der ÖVP, Gernot Blümel, zeigte sich auf Twitter mehr als kritisch:
Der FPÖ-Spitzenkandidat für die EU-Wahl, Andreas Mölzer, meinte, die Bestellung Freunds "bringt nicht das, was sich manche erhoffen. Bekanntheit ja", meinte er. Ebenso gelassen reagierte er aber auf die neue FPÖ-Doppelspitze mit Harald Vilimsky. Warum es so eine Doppelspitze gibt? Mölzer launisch: "Weil ich alt bin und er jung ist. Nein, ich brauche keinen Aufpasser, sondern einen, der mir die Arbeit abnimmt." Außerdem handle es sich mit Franz Obermayer um "eine Dreifachspitze. Das ist ein Spieß nicht nur mit zwei Zacken, sondern mit drei".
Angesprochen darauf, ob Freund die Chancen der Grünen schmälern könnte, sagte Grüne Europaabgeordnete Ulrike Lunacek, es sei "zu früh, genaue Analysen" zu machen. Sie sehe aber nicht, dass dies auf die Grünen große Auswirkungen haben werde. Natürlich werde es auch darum gehen, die unterschiedlichen Positionen vor allem in der Umweltpolitik mit der SPÖ zur Sprache zu bringen.