Assange-Auslieferung? "Es geht um die Zukunft der Pressefreiheit"
Von Lukas Kapeller
In London hat die Anhörung des Aufdeckers und Wikileaks-Gründers Julian Assange begonnen. Im Gerichtssaal geht es darum, ob der gesundheitlich angeschlagene Assange von den Briten an die USA ausgeliefert wird. Der 48-jährige Australier sitzt seit knapp einem Jahr in einem Hochsicherheitsgefängnis im Osten Londons.
Assange machte mithilfe der Internetplattform Wikileaks amerikanische Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan öffentlich. Bei einer Auslieferung und Verurteilung in den USA drohen Assange bis zu 175 Jahre Gefängnis. In den Vereinigten Staaten würde den politischen Aktivisten wohl außerdem strenge Isolationshaft erwarten.
Angriff auf die Presse
Rund um den Globus rufen Medien und Menschenrechtsorganisationen in diesen Tagen dazu auf, Assange nicht auszuliefern. Die USA müssten alle Spionagevorwürfe und ähnlichen Anklagen gegen Assange, auf deren Grundlage seine Auslieferung gefordert wird, fallenlassen, sodass er sofort freigelassen werden kann, fordert Amnesty International. Julian Assange für das Offenlegen von Verfehlungen und Unrecht "anzuklagen, ihn dafür in ein anderes Land auszuliefern, ist ein ungeheuerlicher Angriff auf die Pressefreiheit", schloss sich auch die österreichische Journalistengewerkschaft der Forderung an. Selbst wenn man nicht alle Prinzipien von Wikileaks gutheiße.
Der ehemalige Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl, schrieb kürzlich: "Es geht in diesem Prozess nicht nur darum, ob dieser Mann an die USA ausgeliefert wird. Es geht in diesem Prozess auch um die Zukunft der Pressefreiheit. Lässt sich ein rechtsstaatliches Gericht einbinden und einwickeln in den großangelegten US-Versuch, an Assange ein abschreckendes Exempel zu statuieren?"
Aufdecker im Exil
Insbesondere die von Wikileaks aufgedeckte Tötung von irakischen Zivilisten und Journalisten - das entsprechende, 2010 veröffentlichte Video wurde am 12. Juli 2007 aufgenommen - zwang Assange zu einem jahrelangen Versteckspiel.
Im August 2010 hatten schwedische Staatsanwälte einen Haftbefehl gegen Assange erlassen. Vorwurf: Vergewaltigung und sexuelle Nötigung. Assange versuchte von London aus seine Auslieferung an Schweden zu verhindern. Darum flüchtete er im Juni 2012 in Ecuadors Botschaft in London, wo er bis zu seiner Verhaftung durch die britische Polizei im April 2019 blieb.
Jahrelang kämpfte Assange von der Botschaft aus vergeblich gegen eine Aufhebung des Haftbefehls in Schweden. Im Mai 2017 gab Schwedens Justiz bekannt, dass sie die Ermittlungen gegen Assange einstellt. Einen Monat zuvor begannen die USA aber laut Medienberichten, eine Anklage gegen Assange vorzubereiten.
UNO-Experte: Konstruierte Vergewaltigung
Zu den Vergewaltigungs- und Nötigungsvorwürfen in Schweden nahm der UNO-Sonderberichterstatter für Folter, der Schweizer Nils Melzer, kürzlich in einem bemerkenswerten Interview Stellung. Zur Erinnerung: Zwei Frauen hatten im August 2010 bei der schwedischen Polizei Vorwürfe gegen Assange erhoben – Anzeigen, die schließlich zu Assanges Botschafts-Exil führten.
Melzer sieht eine konstruierte Vergewaltigung und manipulierte Beweise. "Ich spreche fließend Schwedisch und konnte deshalb alle Originaldokumente lesen. Ich traute meinen Augen nicht: Nach Aussagen der betroffenen Frau selber hat es nie eine Vergewaltigung gegeben. Und nicht nur das: Die Aussage dieser Frau wurde im Nachhinein ohne ihre Mitwirkung von der Stockholmer Polizei umgeschrieben, um irgendwie einen Vergewaltigungsverdacht herbeibiegen zu können", sagte Melzer im Schweizer Medium Republik über die schwedischen Polizeiermittlungen.
SZ-Kommentator Prantl schrieb am 9. Februar, eine Woche nach dem Melzer-Interview, über die Punzierung von Wikileaks als "Terrororganisation": "Worin besteht der angebliche Terror? Er besteht in der Aufdeckung von Terror. Aus Journalismus wird auf diese Weise Spionage. Die Aufdeckung von Verbrechen wird selbst zum Verbrechen." Und weiter: "Wer Julian Assange verteidigt, verteidigt die Pressefreiheit."
Die amerikanische Justiz wirft Assange unter anderem vor, im Jahr 2010 Videos und Dokumente von Kriegseinsätzen in Afghanistan und im Irak ans Licht der Öffentlichkeit gebracht zu haben, die von der ehemaligen US-Militärmitarbeiterin Chelsea Manning zugespielt worden waren. Bis zu ihrer Geschlechtsumwandlung hieß Chelsea Manning noch Bradley Manning.
Weckruf von Medizinern
Die jahrelange Isolation hat laut Medienberichten bereits tiefe körperliche und psychische Spuren an Assange hinterlassen. Als Assange im vergangenen Herbst erstmals seit seiner Verhaftung öffentlich vor einem Londoner Gericht auftrat, wirkte er gebrechlich. Erst vor einer Woche veröffentlichten rund 120 Ärzte und Psychologen in der renommierten medizinischen Fachzeitschrift The Lancet die "bestmögliche Gesundheitsversorgung" für Assange.
Sollte Assange in seiner Zelle im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh sterben, schrieben die Experten weiter, dann sei er "effektiv zu Tode gefoltert worden".
Die erste Anhörung am heutigen Montag war in London war von Protesten begleitet. Die Anhörungen sind zunächst für eine Woche geplant und sollen dann erst am 18. Mai für weitere drei Wochen fortgesetzt werden.