Arzt in Gaza berichtet von OPs mit Handylicht und ohne Betäubung
Ein leitender Kinderarzt im Gazastreifen hat davor gewarnt, dass die Krankenhäuser in dem abgeriegelten Küstengebiet bald zu "Friedhöfen" werden. Hussam Abu Safija, der leitende Kinderarzt im Kamal-Adwan-Krankenhaus im nördlichen Gazastreifen, sagte der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag: "Einige Operationen werden ohne Anästhesie durchgeführt."
"Wir tun unser Möglichstes, aber wir brauchen bessere medizinische Versorgung, sonst werden unsere Krankenhäuser zu Friedhöfen", sagte der Mediziner. Ärzte müssten primitive Mittel zur Versorgung der Patienten nutzen. "Um die Wunden von verletzten Kindern zu säubern, musste ich mit Wasser vermischtes Chlor verwenden." Das Krankenhaus habe keine Schmerzmittel und Antibiotika mehr. Operationen würden mit Handylichtern durchgeführt.
Nach Erkenntnissen der Hilfsorganisation Care müssen sich Frauen im Gazastreifen zunehmend Kaiserschnitten ohne Betäubung unterziehen. Betäubungsmittel seien nicht verfügbar und die Krankenhäuser seien "komplett" überlastet, hieß es in der am Donnerstag veröffentlichten Erklärung. Die medizinische Unterversorgung verschärfe deutlich das Risiko der Mütter- und Säuglingssterblichkeit. "Aufgrund der schwindenden Nahrungsmittelvorräte besteht insgesamt ein erhebliches Risiko für die Gesundheit der 283 000 Kinder unter fünf Jahren in Gaza sowie schwangerer und stillender Frauen", sagte Hiba Tibi, Länderdirektorin von CARE Palästina (Westbank und Gaza).
"Ich kann mir kaum vorstellen, welche Angst diese Frauen um sich selbst und ihre Babys haben, während sie gleichzeitig unter unerträglichen Schmerzen leiden. Wir hören, dass in einigen Krankenhäusern die Babynahrung ausgegangen ist. Das ist äußerst beunruhigend, da Trauma die Muttermilchproduktion von Frauen beeinflussen kann“, sagt Tibi.
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Aufgrund des Stromausfalls sind Krankenhäuser auf Treibstoff für ihre Generatoren angewiesen, der ebenfalls knapp wird. Rund 130 Neugeborene liegen derzeit in Brutkästen, die nicht ohne Strom auskommen. Darüber hinaus besteht ein lebensbedrohlicher Mangel an sauberem Wasser, Medikamenten, Blutkonserven und anderen Hilfsgütern. Über ein Drittel der Krankenhäuser in Gaza und fast zwei Drittel der Kliniken der primären Gesundheitsversorgung wurden aufgrund von Schäden oder Treibstoffmangel bereits geschlossen.
Angriff nahe UNO-Schule
Bei einem mutmaßlichen Angriff der israelischen Armee nahe einer UNO-Schule in der Flüchtlingslager Jabalia sind nach Angaben der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas mindestens 27 Menschen getötet worden. Zudem gebe es nach dem Beschuss am Donnerstag eine "große Anzahl" an Verletzten, erklärte der Sprecher des von der Hamas geleiteten Gesundheitsministeriums im Gazastreifen, Ashraf al-Kudra. Die Zahlenangaben ließen sich zunächst nicht unabhängig verifizieren.
AFP-Aufnahmen von dem Vorfall zeigten aber mehrere Verletzte und hinzueilende Rettungskräfte. Auf Bildern von AFPTV waren zahlreiche blutüberströmte Körper vor der Schule zu sehen, in der viele Zivilisten Zuflucht gesucht hatten. Die israelische Armee äußerte sich zunächst nicht zu dem Vorfall. Israel wirft der Hamas vor, UNO-Schulen und Krankenhäuser als Waffenlager zu missbrauchen. Die Hamas weist dies zurück.
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Zuvor war das israelische Militär mit Panzern und Truppen immer weiter Richtung Gaza-Stadt vorgedrungen. Dabei stießen die Soldaten am Donnerstag auf erbitterten Widerstand. Bewohner berichteten, das Gebiet von Gaza-Stadt sei die gesamte Nacht über mit Mörsergranaten beschossen worden. Israelische Panzer und Bulldozer seien dabei, immer weiter vorzudringen.
Netanjahu lehnt Feuerpause ab
Die Zahl der getöteten Palästinenser ist seit Beginn des Kriegs am 7. Oktober laut dem von der Hamas kontrolliertem Gesundheitsministerium auf 9.061 gestiegen. Davon seien 3.760 Kinder und Jugendliche und 2.326 seien Frauen, berichtete das Ministerium in Gaza am Donnerstag. Es seien zudem mehr als 32.000 Menschen verletzt worden. Die Zahlen der Behörde lassen sich gegenwärtig nicht unabhängig überprüfen.
UNO-Vertretern zufolge sind mehr als 1,4 Millionen im Gazastreifen auf der Flucht. Lebensmittel, Medikamente und sauberes Wasser sind demnach kaum noch vorhanden. Wegen ihres Vorgehens steht die israelische Regierung zunehmend unter Druck. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu lehnt Forderungen auch der US-Regierung nach einer Waffenruhe, um die Menschen im Gazastreifen mit dem Nötigsten zu versorgen, vehement ab.
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Nach Darstellung des israelischen Armeechefs wird Israel Treibstofflieferungen unter Aufsicht in den Gazastreifen zulassen, sofern es dort in den Krankenhäusern keinen mehr gibt. Seit mehr als einer Woche heiße es jedoch, dass den Kliniken der Treibstoff ausgehe, dies sei aber noch nicht passiert, sagte Herzi Halevi am Donnerstag vor Journalisten. "Wir werden sehen, wann dieser Tag kommt."