Neuer CDU-Chef: Entscheidung für den Auf-Nummer-sicher-Kandidaten
Auf einem digitalen Parteitag in einem leeren Saal eine Rede zu halten ist wie ein Konzert ohne Publikum zu spielen – am Ende weiß keiner, ob er gut angekommen ist.
Armin Laschet, nicht als brillanter Rhetoriker bekannt, macht es an diesem Samstag simpel, aber geschickt: Er beginnt und beendet seine Rede mit einer persönlichen Geschichte über seinen Vater, einen Bergmann, der unter Tage arbeitete. Dort habe man sich vertrauen müssen, egal wo man herkam, erzählt der 59-jährige Nordrhein-Westfale. Und weiter: Wenn alle wieder wohlbehalten über Tage angekommen waren, dann hätten die Bergmänner ihre Erkennungsmarke an den Nagel gehängt. Diese habe ihm sein Vater geschenkt – Laschet hält jetzt die Marke in die Kamera. "Mein Vater hat gesagt: Sag den Leuten, sie können dir vertrauen."
Der Anti-Merz
Eine Geschichte, die Menschen berührt, ist aber nicht der einzige Grund, warum sich die Delegierten in einer Stichwahl mit 55 Stimmen Vorsprung für ihn und gegen Friedrich Merz, Liebling der Parteikonservativen und Favorit an der Basis, entschieden haben.
Laschet gab ihnen das Gefühl, bei ihm können sie nicht viel falsch machen. Er war nicht der Risiko- sondern der Nummer-sicher-Kandidat. Anders als Merz versuchte er sich nicht groß von Angela Merkel abzugrenzen, sondern neu daran anzuknüpfen. Das "Weiter so" dürfe es nur bei der Kontinuität des Erfolgs geben, erklärte Laschet. In Richtung seines Kontrahenten verteilte er Spitzen ("Wir müssen Klartext sprechen, aber nicht polarisieren") und manch einer vor dem Bildschirm wird dabei noch Merz' jüngste Reaktion auf die pandemiebedingte Verschiebung des Parteitages im Kopf haben (das "Establishment" wolle ihn verhindern). Am Ende schickte Laschet noch geschickt eine Botschaft an die Zuseher, die ihnen vertraut vorkommen dürfte: "Ich bin Armin Laschet. Darauf können Sie sich verlassen."
Mit einem ähnlichen Motto ("Sie kennen mich") gewann Merkel einst Wahlen – fast 16 Jahre lang sicherte sie der CDU damit den ersten Platz. Wenn sie heuer bei der Bundestagswahl nicht mehr antritt, weiß keiner, wohin ihre Stimmen wandern. Mit Laschet könne nicht viel schief gehen, dürften sich die Delegierten da wohl gedacht haben, ehe sie zu Hause abstimmten. Der Mann hat in Nordrhein-Westfalen Wahlen gewonnen, ist als Regierungschef in Düsseldorf erfahren und sieht sich als Brückenbauer.
Zerrissene Partei
Diese wird er auch zu den gegnerischen Lagern seiner Mitbewerber Norbert Röttgen und Friedrich Merz schlagen müssen. Keine einfache Aufgabe. Das knappe Ergebnis in der Stichwahl zeigt die Zerrissenheit innerhalb der CDU, wie sie 2018 offenkundig wurde. Fast die Hälfte der Delegierten hat sich nun erneut Merz gewünscht. Seine Anhänger konnten sich schon damals nicht mit der Niederlage ihres Helden gegen Annegret Kramp-Karrenbauer abfinden. Damals kostete Merz eine eher schwache Rede viele Stimmen. Ähnlich wirkte es auch am Samstag: Kaum Emotionen, viele Ideen, aber noch mehr Selbstverteidigung ("Ich höre und lese ja teilweise, ich hätte ein altes Bild vor Augen").
Und wie vor zwei Jahren entschied sich Merz entgegen der Hoffnung seiner Fans auch gestern, nicht fürs CDU-Präsidium zu kandidieren. Allerdings beanspruchte er kurz nach der Ergebnis-Verkündigung das Wirtschaftsministerium für sich. Nicht in der nächsten Regierung, sondern jetzt. Das würde heißen: Angela Merkel müsste Peter Altmaier entlassen. Aus dem Kanzleramt folgte prompt eine Absage ("Keine Regierungsumbildung").
Wie Armin Laschet seinen Mit-Bewerber künftig einbinden will, ist fraglich. Annegret Kramp-Karrenbauer ist es jedenfalls nicht gelungen. Statt auf seine Mithilfe konnte sie sich auf öffentlichen Ratschläge von der Seitenlinie verlassen. Was die Stimmung in der CDU nicht besserte: Die einen waren sauer über seine Einmischungen, die anderen ließ genau das hoffen: Er kommt wieder.
Kanzlertauglich?
Nebenbei wurde Kramp-Karrenbauer bei jeder Gelegenheit auf ihre Kanzlerinnenfähigkeiten abgeklopft – von Journalisten wie Parteifreunden. Auch Laschet stichelte gerne mit. Nun könnte ihm Ähnliches drohen. Denn in den letzten Wochen mehrten sich die Stimmen, wonach einige in der Union von keinem Bewerber überzeugt seien. Umfragen bestätigten das Bild. Bayerns Ministerpräsident Söder (CSU) und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) tauchten in diesen Rankings weit vor Merz und Laschet auf.
Schon vor Wochen gaben Parteigrößen wie Wolfgang Schäuble die Losung aus, wonach der neue Parteichef nicht automatisch Kanzlerkandidat werden muss. In der Hoffnung, dass noch ein Besserer kommt als einer der Anwärter auf den CDU-Vorsitz. Damit hat sich die CDU in ein Dilemma manövriert. Denn sollte sie Armin Laschets Anspruch auf die Kandidatur tatsächlich zurückweisen, schwächt sie ihren eigenen Mann. Und wird eine gute Erzählung brauchen, um den Wählern zu verkaufen, warum sie ihren frischgekürten Vorsitzenden nicht gut genug fürs Kanzleramt hält. Überhaupt wäre er dann ein König ohne Land. Schwer vorstellbar, dass er sich das antut und einfach so klein beigibt.
Dass er das wichtigste Amt will, hat er schon mehrfach wissen lassen. Vielleicht kommt es ihm ja nicht ungelegen, wenn die Gremien von CDU/CSU die gemeinsame Entscheidung der Kanzlerkandidatur erst im Frühjahr treffen wollen – im Sinne von: Was nicht ist, kann noch werden.