Jüdische Gemeinden fordern ein EU-Gesetz gegen Verhetzung
Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), Oskar Deutsch, verlangt vor seiner Brüssel-Reise, dass die EU Juden besser schützt.
KURIER: Herr Präsident, was wollen Sie von der EU?
Oskar Deutsch: Antisemitismus in Europa steigt, eine neue Studie der Universität Tel Aviv belegt das. Ungarn ist mit Abstand an erster Stelle gefolgt von Frankreich, Schweden, Griechenland und den baltischen Ländern. In Ungarn darf man ab 1. Mai Hakenkreuze oder andere Symbole tragen, und es passiert einem nichts. Die Kultusgemeinde und der Europäische Jüdische Kongress fordern jetzt ein EU-Gesetz gegen Verhetzung.
Reicht das?
Den jüdischen Gemeinden in Europa ist es wegen der Bedrohung nicht länger zumutbar, ihre Sicherheitsausgaben selbst zu tragen. Aufgrund des Gefahrenpotenzials betragen die Kosten für Sicherheit 15 bis 25 Prozent des Budgets. Daher ist die EU gefordert, Mittel für die Sicherheit der jüdischen Gemeinden in Europa aufzubringen.
Haben Juden in Europa eine Zukunft?
Ich glaube schon. Aber die EU muss sich ihrer Aufgaben bewusst sein: Darunter fällt der Schutz der Minderheiten. Hier geht es nicht nur um Worte, es geht um Taten, und wenn notwendig, auch um Sanktionen. Das ist erforderlich, damit Juden weiterhin in Europa leben können. Es ist meine Aufgabe, diese Probleme anzusprechen, und nicht zu schweigen. 75 Jahre nach dem Anschluss ist es wichtig, dieses Thema auch in Schulen zu behandeln.
Was soll die Schule leisten?
Das Verständnis für Demokratie und Toleranz fördern und bestimmte Werte weitergeben. Die Verbrechen der NS-Zeit dürfen nicht in Vergessenheit geraten.
Wie sehr hat sich die Lage für Juden in Europa verschlimmert?
Viele Juden haben aus Angst vor Angriffen Frankreich bereits verlassen, es ist zu gefährlich geworden. Der Bürgermeister von Malmö hat Zionismus und Antisemitismus gleichgesetzt. Eine halbe Million Ungarn sind in den letzten Monaten ausgewandert, eine beträchtliche Zahl davon sind Juden. Wir müssen jetzt nicht wieder Koffer packen, aber wir müssen um das Überleben jüdischer Gemeinden in Europa kämpfen.
Im Antisemitismus-Bericht der deutschen Regierung steht, dass Antisemitismus die Mitte der Gesellschaft erfasst hat.
Gerade bei schlechter Wirtschaftslage werden Sündenböcke gesucht. Das sind immer die Minderheiten. In vielen EU-Städten ist es zu gefährlich, zum Beispiel mit der Kippa auf der Straße zu gehen. Ich bin wirklich froh, dass es in Wien noch möglich ist.
Erwarten Sie im Wahlkampf mehr antisemitische Vorfälle?
Es ist zu befürchten, dass es vermehrt zu antisemitischen Vorfällen kommen wird. Ich erwarte mir von den Parteien, dass sie sich deutlich dagegen aussprechen.
Wie stehen Sie zu Parteien, die eine Koalition mit der FPÖ erwägen?
ÖVP-Chef Spindelegger hat gesagt, zuerst wird gewählt, dann schauen wir uns die Optionen an. Ich wünsche mir, dass beide großen Parteien ganz deutlich sagen, dass für sie eine Koalition mit der FPÖ nicht infrage komme. Für mich ist es sehr wichtig, dass dies noch vor den Wahlen klargestellt wird.