Kramp-Karrenbauer in der Rezo-Falle, Nahles muss pokern
Andrea Nahles ist krisenerprobt, wenn auch ungewollt. Annegret Kramp-Karrenbauer, genannt AKK, muss das erst beweisen. Zum wiederholten Male hat sich die CDU-Chefin jüngst mit der Netzgemeinde angelegt.
Was ist passiert? Die Union hat bei der Europawahl ein historisch schlechtes Ergebnis (28,9 Prozent) eingefahren und besonders von den Jungen wenig Stimmen bekommen. In ihrer ersten Analyse räumte die CDU-Chefin Fehler ein: Etwa beim Streit um das Urheberrecht, die Uploadfilter und den Klimaschutz. Auch die Reaktion auf das millionenfach geklickte Video des Youtubers Rezo, der die CDU bzw. Große Koalition kritisierte und aufrief, die Partei nicht zu wählen, hinterfragte sie und verhedderte sich. AKK sprach von „Meinungsmache“ und zog Vergleiche: „Was wäre eigentlich in diesem Lande los, wenn eine Reihe von, sagen wir, 70 Zeitungsredaktionen zwei Tage vor der Wahl erklärt hätten, wir machen einen gemeinsamen Aufruf: Wählt bitte nicht CDU und SPD. Das wäre klare Meinungsmache vor der Wahl gewesen“, sagte sie mit Blick auf den Youtuber, der gar kein Journalist ist.
Dass sie zudem Regeln vorschlug, wurde ihr als „regulieren“ ausgelegt. „Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt werden wir alle in der CDU immer verteidigen“, erklärte sie nach der teils harschen Kritik an ihr. Viele Beobachter fragen sich, ob es (wieder) eine Panne oder Kalkül von AKK war.
Unter Beobachtung
Was sie mit Sicherheit weiß: Als Kanzleramt-Aspirantin steht sie unter Dauer-Beobachtung. Jede Aussage, jeder Auftritt wird von Medien, Parteikollegen und Konkurrenten geprüft. Seit ihrem knappen Sieg gegen Friedrich Merz versucht sie die Lager zu vereinen. Es ist ein Balanceakt, der ihr nur schwer gelingt: Ihre restriktiven Ansagen in der Flüchtlingspolitik (Grenzschließung als Ultima Ratio), die Abfuhr an Macrons Reformideen und der Spott über Gendertoiletten, ließen Wertkonservative und Wirtschaftsliberale jubeln – vermittelten aber den Eindruck eines Rechtsruckes in der CDU, was vor allem den christlichsozialen, mittigen Parteiflügel besorgt. Denn wie sich in den Umfragen und nun bei der Europawahl zeigte, lässt sich damit nicht viel gewinnen. Welche Schlüsse die Partei daraus zieht, wird sich bei der anstehenden Klausur zeigen. AKK hat trotz Shitstorms intern (noch) nicht viel zu befürchten – denn bei Kritik von außen, rückt man in der CDU gerne ganz schnell zusammen.
In die Offensive
Von den Sozialdemokraten lässt sich das nicht behaupten. Dort kämpft Andrea Nahles seit einem Jahr als Parteichefin gegen schlechte Werte und interne Gegner, die mehr oder weniger offen ihren Rücktritt fordern. Nach der Kritik an ihr und am Wahlergebnis (die SPD verlor knapp zwölf Punkte und landete bei 15,8 Prozent) setzt sie jetzt alles auf eine Karte: Sie stellt sich vorzeitig zur Wahl als Fraktionschefin, das kündigte sie noch am Montagabend überraschend an. Damit will sie dem internen Dauergemurre ein Ende setzen. Nach dem Motto: Wer es besser kann, soll sich zeigen. Dass ein neuer Kopf nicht reicht, um die Partei nach vorne zu bringen, zeigt sich ja in der CDU. Möglich, dass ihr Kalkül aufgeht und sich die Kritiker zurücknehmen. Ohnehin gibt es nicht viele, die sie jetzt ablösen wollen. Schon gar nicht ihr Vertrauter Olaf Scholz, der sich als künftiger Kanzlerkandidat sieht, aber unberührt ins Rennen gehen will, heißt es. Zudem wird schon bald in den neuen Bundesländern gewählt, wo die SPD tendenziell schwach ist. Diese Wahlen will so schnell niemand verlieren.