Erdoğan droht weiter: "Bald wird man von Millionen sprechen"
Derzeit ist die Grenze dicht: Ein KURIER-Lokalaugenschein an den Grenzübergängen im türkischen Edirne zeichnet ein klares Bild. Migranten - hauptsächlich Afghanen und Afrikaner - haben sich voller Hoffnung auf den Weg gemacht.
Nach der Ankündigung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan am Samstag, dass die Grenzen geöffnet seien, schien diese auch berechtigt. Fakt ist: Griechische Behörden haben die Land- und Meeresgrenze größtenteils abgeriegelt. Das hinderte Erdoğan nicht daran, bei zwei Reden in Ankara weitere Drohungen auszusprechen.
"Jetzt jammern alle"
"Die Zeit der einseitigen Opferbereitschaft ist nun vorbei", sagte er. "Seit der Stunde, in der wir unsere Grenzen geöffnet haben, hat die Zahl derjenigen, die sich nach Europa aufmachen, mehrere Hunderttausend erreicht. Und es werden noch mehr werden. Bald wird man von Millionen sprechen."
Die Türkei hat seit Beginn des Bürgerkriegs im Nachbarland Syrien rund 3,6 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Dazu kommen viele Migranten und Flüchtlinge aus Afghanistan und anderen Ländern. Ein Flüchtlingspakt mit der EU von 2016 sieht eigentlich vor, dass die Türkei illegale Migration stoppt. Im Gegenzug erhält Ankara unter anderem finanzielle Unterstützung.
Erdoğan hatte aber bereits mehrfach gedroht, die Grenzen zu öffnen, sollte vor allem Europa der Türkei mit der Last nicht besser helfen. „Sie dachten, wir machen nur Spaß“, sagte er nun. „Jetzt jammern alle, weil wir unsere Grenzen geöffnet haben.“
Anlass der Krise ist die Situation in der nordsyrischen Rebellenhochburg Idlib. Dort ist das syrische Militär mit russischer Unterstützung auf dem Vormarsch. Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht in Richtung türkische Grenze. Das hat in der Türkei große Sorgen ausgelöst. Zudem waren in der Region in der vergangenen Woche nach offiziellen Angaben bei einem syrischen Luftangriff mindestens 34 türkische Soldaten getötet worden.
Griechenland reagiert
Die EU-Grenzschutzagentur Frontex hat am Montag einen sogenannten Soforteinsatz in Griechenland gebilligt. Angesichts der sich schnell entwickelnden Situation an der griechischen Grenze mit der Türkei habe man dem Einsatz zugestimmt, teilte der Frontex-Cehf Fabrice Leggeri in einer Aussendung mit.
Es sei Teil des Frontex-Mandates, einen Mitgliedsstaat, der mit einer "außergewöhnlichen Situation" konfrontiert ist und "dringend" Hilfe fordere, zu unterstützen, so Leggeri. Mit der griechischen Regierung solle nun "schnell" ein Einsatzplan erstellt werden, teilte der Leiter der Behörde via Twitter mit.
1.500 einsatzbereite Beamten
Sobald man sich auf einen Plan mit Griechenland geeinigt hat, werde sich Frontex an die Mitgliedsstaaten wenden und diese bitten, "unmittelbar" ihre nationalen Grenzschützer bereitzustellen. Bis dahin soll auch geklärt werden, welches Material benötigt wird und in welchen Bereichen genau Experten tätig werden sollen.
Insgesamt beträgt der Reservepool für solche Einsätze 1.500 Beamten, sie sollen innerhalb von fünf Tagen entsendet werden. Zu ihnen zählen auch Experten für Urkundenfälschung und Pässe sowie zur Registrierung von Flüchtenden. Einsatzmaterial wie Fahrzeuge oder auch Schiffe sowie Überwachungstechnik soll binnen zehn Tagen vor Ort sein. Grundsätzlich unterstehen die Frontex-Beamten dem Kommando Griechenlands.
"Unsere Kernmission ist es, die Grenzen der EU gemeinsam mit der Unterstützung der Mitgliedsstaaten zu schützen", teilte Frontex-Chef Leggeri mit. In Griechenland werde dieses Ziel verfolgt, in dem man bei der Registrierung von Geflüchteten sowie deren Sicherheitsüberprüfung hilft. Dies sei besonders mit Blick auf mögliche Rückführungen wichtig.
"Außergewöhnlicher Druck"
Soforteinsätze sind laut Frontex für EU-Länder vorgesehen, die an ihrer Außengrenze unter "außergewöhnlichem Druck", stehen. Dies gelte "insbesondere im Zusammenhang mit einer großen Zahl von Nicht-EU-Bürgern, die versuchen, illegal in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates einzureisen".
Frontex versprach am Montag, rasch auf das Hilfeersuchen Griechenlands zu reagieren. "Wir schauen uns an, wie wir Griechenland am besten in der möglichst kürzesten Zeit unterstützen können", teilte die Behörde im Kurznachrichtendienst Twitter mit.
Truppe wäre Griechenland unterstellt
Die Frontex-Beamten würden dann grundsätzlich unter dem Kommando Griechenlands stehen. Sie werden "unter den Anweisungen und in Anwesenheit von Grenzschutzbeamten des um Hilfe ersuchenden Mitgliedstaats" eingesetzt, erklärt die Behörde. Ein Koordinierungsbeamter von Frontex überwacht die korrekte Umsetzung des Einsatzplanes, der auch die Bedingungen für den Einsatz von Waffengewalt regelt.
Erleichtert wird die Stationierung, weil schon seit Jahren Frontex-Beamte in Griechenland vor Ort sind. Fast 600 Beamte sind dabei laut der Behörde innerhalb des Einsatzes "Poseidon" tätig und helfen bei der Grenzüberwachung. Das Mandat erstreckt sich auf die Landgrenze zur Türkei und die griechischen Inseln.
Die Türkei hält seit dem Wochenende Flüchtlinge nicht mehr davon ab, von ihrem Territorium aus in die EU zu gelangen. Griechische Sicherheitskräfte versuchen, illegale Grenzübertritte von Flüchtlingen zu verhindern. Sie gingen mit Tränengas und Blendgranaten gegen die Menschen an der türkisch-griechischen Grenze vor. Zudem kündigte Athen an, ein Monat lang keine neuen Asylanträge annehmen zu wollen.