Leichnam verschwunden: "Mörder" wollen laut Nawalnys Team Spuren verwischen
Das Team des Kremlgegners Alexej Nawalny hat dessen Tod bestätigt. Das teilte seine Sprecherin Kira Jarmysch am Samstag auf X (vormals Twitter) mit. Nawalnys Mutter Ljudmila Nawalnaja war in das Straflager im Norden Russlands gereist und habe dort die Todesnachricht erhalten. Allerdings fehlte am Samstag vom Leichnam des russischen Oppositionspolitikers jede Spur. Jarmysch forderte, dass der Leichnam den Angehörigen unverzüglich übergeben werden müsse.
Der Tod des 47-Jährigen soll laut offiziellen am Freitag um 14.17 Uhr Ortszeit (10.17 Uhr MEZ) eingetreten sein. Zuvor hatte bereits der russische Strafvollzug über Nawalnys Tod informiert, der seit 2021 inhaftiert war.
Mutter und Anwalt suchen Nawalnys Leiche
Der Mutter wurde von einem Mitarbeiter des Straflagers zunächst gesagt, der Leichnam Nawalnys befinde sich im Leichenschauhaus der 50 km vom Straflager entfernten Stadt Salechard. Als sie allerdings hinreiste, um ihren Sohn zu identifizieren, war das Gebäude geschlossen. Telefonisch wurde ihr und einem mitgereisten Anwalt mitgeteilt, der Leichnam befinde sich doch nicht im Leichenschauhaus.
Einem anderen Anwalt Nawalnys sei gesagt worden, dass die Todesursache noch nicht bekannt und eine weitere histologische Untersuchung erfolgt sei, deren Ergebnisse in der nächsten Woche zu erwarten seien, schrieb Jarmysch. "Es ist offensichtlich, dass sie lügen und alles unternehmen, um den Leichnam nicht zu übergeben." Den Anwälten sei lediglich mitgeteilt worden, dass die Untersuchungen "nichts Kriminelles" ergeben hätten. "Die lügen ständig und führen uns im Kreis herum."
Nawalnys Unterstützer werfen den Behörden im Onlinedienst Telegram vor, eine Übergabe des Leichnams zu verhindern, um die Spuren seiner "Mörder" zu verwischen. "Es ist offensichtlich, dass die Mörder ihre Spuren verwischen wollen und seinen Leichnam deshalb nicht übergeben und sogar vor seiner Mutter verstecken."
Mehr als 100 Festnahmen in mehreren Städten
Indes wurden Freitagabend mehr als 100 Festnahmen unter anderem aus der Hauptstadt Moskau, aus der Ostsee-Metropole St. Petersburg und sechs weiteren Städten gemeldet. Die Menschen waren gekommen, um Blumen abzulegen. Unter den Festgenommenen waren laut Medienberichten auch Journalisten.
In Moskau war bis in die Nacht hinein ein großes Polizeiaufgebot im Stadtzentrum, wie eine Reporterin der Deutschen Presse-Agentur von vor Ort berichtete. Zwischenzeitlich hatten Menschen dort in einer langen Schlange gewartet, um Blumen abzulegen am sogenannten Solowezki-Stein, der Opfern politischer Repressionen gewidmet ist. Viele wurden zwar zu dem Stein durchgelassen, jedoch von Polizisten eingeschüchtert und ständig ermahnt, den Ort schnell wieder zu verlassen.
Gedenkstätte vor russischer Botschaft in Wien
In zahlreichen europäischen Städten, darunter Wien, demonstrierten Menschen vor den jeweiligen russischen Botschaften und nannten Kreml-Chef Putin einen Mörder. In Wien erinnerten Angehörige der russischen Community seit Freitag mit einer improvisierten Gedenkstätte vor der russischen Botschaft in der Reisnerstraße in Wien-Landstraße an Nawalny. Zeitweilig waren bis zu 20 Personen gleichzeitig anwesend, die teils auf einem Bauzaun auch Plakate mit sehr expressiver Kritik an Kremlchef Putin und seinem Regime anbrachten.
Scherbakowa spricht von "politischem Mord"
Die Moskauer Historikerin Irina Scherbakowa hat am Freitag in der ZiB 2 den Tod des russischen Oppositionellen Nawalnys als "politischen Mord" bezeichnet. Sie sei überrascht gewesen von der Todesnachricht, auch wenn die Haftbedingungen unmenschlich gewesen seien. Sogar der Mord an Nawalny sei zu einer politischen Waffen geworden, so Scherbakowa, denn "mit diesem Tag geht er als wichtigster Gegner des russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Geschichte ein".
Zukunftsprognosen in Bezug auf Russland seien "Science-Fiction". Man wisse nicht, wann die Menschen in Russland so unzufrieden sein werden, um sich gegen das Regime zu erheben. Dennoch sei nach diesem Tag klar, jegliche Friedensgespräche mit Putin seien nicht zielführend, so Scherbakowa.
Es gehe darum, die Ukraine zu unterstützen
Eine homogene Oppositionsbewegung gebe es in Russland momentan nicht, da die Repressionen zu stark seien, betonte die Menschenrechtlerin. Putin sei zwar isoliert, doch darum gehe es nicht wirklich, sondern darum die Ukraine zu unterstützen. Denn wenn Putin diesen Krieg irgendwie gewinne, dann könne man nicht nur die Sicherheit in Europa vergessen.
Scherbakowa ist Gründungsmitglied der Menschenrechtsorganisation Memorial, die 2022 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.
Schallenberg: Moskaus Wehleidigkeit unpassend
"Die russische Wehleidigkeit ist hier fehl am Platz." Mit diesen Worten hat Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) am Samstag den Protest Russlands gegen den Kommentar von Bundespräsident Alexander Van der Bellen zum Tod des russischen Regimekritikers Alexej Nawalny quittiert. Van der Bellen hatte am Freitag in seiner unmittelbaren Reaktion auf X von "Wladimir Putin und seinem mörderischen Regime" gesprochen. Russlands Botschaft in Wien konterte mit einer Protestnote ans Außenamt.
Er beteilige sich nicht an Verschwörungstheorien, betonte Schallenberg am Samstag am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz. Zugleich stellte er klar: "Wir wissen, dass es einen Giftanschlag auf ihn (Nawalny, Anm.) gab, dass er in den GULAG gesteckt wurde (...), wir wissen welches Regime versucht hat, seine Gesundheit zu zerstören." Jene, die sich gestern am meisten aufgeregt hätten, sollten sich am ruhigsten verhalten, richtete er dem russischen Regime aus.