Schallenberg besucht Familien in Tel Aviv: „Wir haben gelernt, nicht zu viel zu hoffen“
Von Evelyn Peternel
Dass die Uhr nicht mehr tickt, wieder auf null steht, davon träumt Gilad Korngold.
Er steht am Hostage Square mitten in Tel Aviv, einem Platz, der den Entführten vom 7. Oktober gewidmet ist. Hinter ihm zeigt eine rote Uhr die Zahl 143. So viele Tage sind vergangen, seit die Hamas seinen Sohn Tal Shoham entführt hat.
Jeden Sabbat kommt er her, sagt er, mindestens. „Bis heute gibt es kein Lebenszeichen von Tal“, sagt Korngold, auf seinem T-Shirt hat er ein Bild seines Sohnes. Neben ihm steht Alexander Schallenberg.
Österreichs Außenminister ist auf Nahost-Reise, erste Station Tel Aviv, danach Jerusalem, Ramallah, Amman, Beirut. Er setze alles daran, dass der 39-Jährige nach Hause komme, sagt er. Shoham hat wie sein Vater den österreichischen und israelischen Pass.
Zu Ramadan könnten die Waffen zu schweigen beginnen
Adi, Korngolds Schwiegertochter, und sein achtjähriger Enkel Nave, wurden beim letzten Geiselaustausch freigelassen. Die Chancen, dass sie bald wieder zusammen sein können, sind seit Kurzem so hoch wie lange nicht mehr.
Just an jenem Tag, an dem Schallenberg hier ankam, verkündete US-Präsident Joe Biden, dass ein neuer Deal samt Waffenruhe greifbar sei. Zu Ramadan, am 10. März, könnten die Waffen zu schweigen beginnen, 40 Tage lang, dafür sollen 40 der insgesamt 130 Geiseln freikommen. Frauen, Kinder, Alte – und Verwundete. Zu denen könnte auch Tal Shoham zählen.
Ausnahmezustand
Hört man sich bei Diplomaten um, so sind die Aussagen des US-Präsidenten nicht nur als Aufforderung an Israel zu verstehen, seine Offensive im Gazastreifen zu beenden, sondern sind durchaus substanziell. Korngold sagt vorsichtig, man habe hier „gelernt, nicht zu viel zu hoffen“. Aber immerhin, es gehe etwas weiter, endlich, nach so vielen Tagen.
Schallenberg kann das nur bestätigen. Nach einem Gespräch mit dem neuen Außenminister Israel Katz ist er verhalten zuversichtlich. Er sagt, er sei an einem „neuralgischen Moment“ hier, was er meint, ist der Ramadan: Wenn der Fastenmonat der Muslime beginnt, dann ist die Zeit ähnlich heilig wie in Europa rund um Weihnachten, ein „emotionaler Ausnahmezustand“.
Dann eine Militäroffensive im Südzipfel des Gazastreifens zu starten, in Rafah, wo sich mittlerweile 1,2 Millionen Flüchtlinge drängen, wie Israels Premier Benjamin Netanjahu zuletzt immer drohender in den Raum gestellt hat, das will im Westen niemand. Ob man ihn abhalten kann, ist fraglich.
Eine Lösung für die Menschen vor Ort hat man – noch – nicht
Katz, so sagt Schallenberg, habe ihm zumindest versichert, dass es keinen Angriff geben werde, ohne dass die Frage der Zivilgesellschaft gelöst sei. Wo die vielen Menschen hinsollen sollen, beschäftigt die Weltgemeinschaft seit Langem.
Ägypten hat den Grenzübergang im Süden gesperrt; zwar richtet sich Kairo darauf ein, dass Menschen dorthin drängen, aber man versucht alles, um das zu vermeiden. „Israel hat zugestanden, zwei Grenzübergänge im Norden zu öffnen, um Hilfsgüter in den Gazastreifen zu bringen“, kann Schallenberg berichten. Aber eine Lösung für die Menschen vor Ort hat man – noch – nicht.
Zeltstädte
Möglich wäre, heißt es hinter den Kulissen, Zeltstädte direkt an der Küste zu errichten und die Flüchtlinge über das Meer zu versorgen. Das könnte, quasi als Zeichen des guten Willens, Israel selbst übernehmen – über Schiffe aus Zypern. Wie realistisch das ist, ist aber fraglich.
Dazu kommt die Frage der restlichen Geiseln. Werden tatsächlich 40 entlassen, sind noch immer 90 in den Händen der Hamas; und von den meisten weiß man nicht, wo sie sind. 30, schätzt man, dürften mittlerweile tot sein.
Wie man sie befreien will, stellt die Streitkräfte vor ein massives Problem. Auch wenn die Regierung verspricht, Zivilisten zu schützen, weiß der einzelne Soldat nicht, ob nicht doch ein Terrorist vor ihm steht. „Die Terroristen haben ja keine Uniform an“, sagt Arye Shalicar, Sprecher der Streitkräfte.
Ein Dilemma, das kaum auflösbar ist. Das gilt auch für die Frage der Hoffnung. Auch wenn in Bälde 40 Verschleppte heimkehren, bleiben 90 weiter in den Händen der Hamas. Und so lange, die nicht in Israel sind, wird es hier kein normales Leben geben“, sagt Shalicar.