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Äthiopien: Das Ende der Euphorie um Friedensnobelpreisträger Abiy

Es ist keine zwei Jahre her, da galt Äthiopiens Ministerpräsident Abiy Ahmed international als Hoffnungsträger für Ostafrika. Doch das Image des 45-jährigen Friedensnobelpreisträgers ist durch den seit einem Jahr andauernden Konflikt im eigenen Land stark in Mitleidenschaft gezogen. Sein unnachgiebiges Vorgehen droht nun Äthiopien und die gesamte Region zu destabilisieren.

Als der ehrgeizige Abiy 2019 seinen Nobelpreis für die friedliche Beilegung des Konflikts mit Äthiopiens Nachbarland Eritrea entgegennahm, bezeichnete er Krieg als "den Inbegriff der Hölle für alle Beteiligten". Bei einem Truppenbesuch im September 2021 schien von dieser Einstellung allerdings nur noch wenig übrig.

Abiy bezeichnete die Mitglieder der Rebellengruppe TPLF als "Banditen", die lediglich "Schießübungen" für äthiopische Soldaten seien. "Dadurch, dass wir an ihnen üben, werden wir ein starkes Militär aufbauen", sagte Abiy. Am Mittwoch gelobte der Ministerpräsident auf Facebook, "diesen Feind mit unserem Blut und unseren Knochen zu begraben".

Der Regierungschef ist ein Produkt des äthiopischen Militärs. Geboren als Sohn eines Muslims und einer Christin in der im Westen des Landes gelegenen Ortschaft Beshasha, trat er bereits als Teenager in die Armee ein. In seiner Kindheit habe er auf dem Boden eines Hauses ohne Strom und fließendes Wasser geschlafen, erzählt Abiy. Seine Faszination für Technik habe ihn dann als Funker ins Militär eintreten lassen.

In seiner Nobelpreisrede erinnerte Abiy sich an seine Zeit im Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea (1998-2000). Seine gesamte Einheit sei bei einem Artillerie-Angriff ausgelöscht worden. Er habe lediglich überlebt, weil er zuvor ein Schützenloch verlassen habe, um besseren Empfang für das Funkgerät zu suchen. Später stieg er zum Oberstleutnant auf, trat in die Regierung ein und gründete Äthiopiens Cyberspionage-Behörde.

Abiy war Teil der Regierung von Ministerpräsident Hailemariam Desalegn, der 2018 nach Massenprotesten gegen eine Verwaltungsreform zurücktrat. Die Koalitionsparteien, darunter auch die TPLF, einigten sich auf Abiy als Desalegns Nachfolger.

Der neue Ministerpräsident verlor keine Zeit beim demokratischen Neuanfang: Abiy ließ Regierungskritiker frei, entschuldigte sich für staatliche Repressionen und lud ins Exil verbannte Gruppierungen zur Rückkehr ein.

In Tigray, Hochburg der TPLF, gab es jedoch Unmut über den vermeintlichen Bedeutungsverlust. Als Abiy 2019 die bestehende Regierungskoalition aufkündigte und eine Einheitspartei bildete, weigerte sich die TPLF mitzuziehen. Stattdessen veranstaltete sie 2020 Regionalwahlen in Tigray, die von der Regierung in Addis Abeba als illegal eingestuft wurden. Im November desselben Jahres schickte Abiy Truppen nach Tigray, angeblich als Reaktion auf Attacken der TPLF auf Armeestützpunkte.

Massaker und Massenvergewaltigungen

Was als schnelle Strafaktion angekündigt war, entwickelte sich in der Folge zu einem Konflikt, der inzwischen auch Tigrays Nachbarregionen erfasst hat; mit zahlreichen Berichten über Gräueltaten wie Massaker und Massenvergewaltigungen. Tausende Menschen wurden getötet, fast zwei Millionen wurden vertrieben, Hunderttausenden droht der Hungertod.

Zuletzt verzeichneten die TPLF und ihre Verbündeten bedeutende Gebietsgewinne. Nach eigenen Angaben sind ihre Truppen nur noch etwa 300 Kilometer von Addis Abeba entfernt. Abiy reagiert nach wie vor ablehnend auf internationale Mahnungen, den Konflikt beizulegen.

Seine Regierung verhängte stattdessen einen landesweiten Ausnahmezustand, der eine Ausweitung der Wehrpflicht sowie Medienzensur umfasst. Kritiker werfen dem Ministerpräsidenten vor, inzwischen ebenso autoritär zu agieren wie seine Vorgänger, inklusive Massenverhaftungen und Misshandlungen durch die Sicherheitskräfte. Die Parlamentswahl im Juni wurde von der Opposition boykottiert.

Dennoch gibt es in Äthiopien noch beträchtliche Unterstützung für Abyis Kurs. Seine Anhänger halten zu ihm. Zu Beginn des Tigray-Konflikts suggerierte ein Funktionär gar, Abiys Rolle könne ihm einen zweiten Friedensnobelpreis einbringen. Doch die Tage der Abiy-Euphorie im Ausland sind gezählt.