Bootsunglück vor Griechenland: Suche nach Überlebenden vor dem Ende
Nach dem Bootsunglück mit vermutlich mehreren Hundert Toten im Mittelmeer neigt sich die Suche nach Überlebenden dem Ende zu. Die griechische Küstenwache war in der Region auch am Samstag noch mit einer Fregatte, drei Patrouillenbooten und einem Hubschrauber im Einsatz. Allerdings erschwerten starke Winde die Arbeit. Hoffnungen auf die Bergung weiterer Überlebender gibt es praktisch keine mehr.
Griechische Medien spekulierten, dass die Suche an diesem Wochenende nach und nach beendet wird.
78 Leichen geborgen, 500 Vermisste
Bisher konnten 78 Leichen geborgen werden. Die tatsächliche Zahl der Todesopfer geben die griechischen Behörden mittlerweile mit mehr als 500 an. Sie verweisen aber auch darauf, dass es wohl nie Gewissheit geben wird. Die Zahlen basieren auf Angaben der Überlebenden sowie Schätzungen der Küstenwache, wie viele Menschen auf dem Fischkutter eingepfercht waren. An Bord des untergegangenen Fischkutters könnten nach Aussagen von geretteten Migranten mehr als 700 Menschen gewesen sein.
Untergang 92 Kilometer vor der Küste
Nur 104 Menschen konnte gerettet werden. Die meisten konnten offensichtlich nicht rechtzeitig das rund 30 Meter lange und verrostete Boot verlassen, als es Mittwochfrüh rund 50 Seemeilen (rund 92 Kilometer) vor der südwestlichen Küste Griechenlands kenterte und unterging. Unter den Menschen an Bord sollen zahlreiche Kinder und auch Schwangere gewesen sein.
Die Unglücksstelle liegt nahe der tiefsten Stelle im Mittelmeer, dem sogenannten Calypsotief, das rund fünf Kilometer bis zum Meeresboden reicht. Eine Bergung des Wracks dürfte damit so gut wie ausgeschlossen sein.
Menschen werden nach Athen gebracht
Schiffe der griechischen Küstenwache und Kriegsmarine brachten bisher die Leichen von 78 Menschen zum südgriechischen Hafen von Kalamata, wo ein Krisenzentrum eingerichtet wurde. Die 104 Überlebenden wurden zunächst in Zelten und anderen Einrichtungen im Hafen Kalamatas untergebracht. 26 von ihnen mussten im Krankenhaus hauptsächlich wegen Unterkühlung behandelt werden, teilten die Behörden mit.
Ermittlungen
Die Ermittlungen konzentrieren sich auf neun Überlebende, die als mutmaßliche Schleuser festgenommen wurden. Einer von ihnen befindet sich noch im Krankenhaus. Den Ägyptern - zwischen 20 und 40 Jahre alt - werden Menschenhandel, fahrlässige Tötung und die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Sie sollen einem Ring von Menschenschmugglern angehören, der in den vergangenen Monaten bis zu 18 der gefährlichen Überfahrten von der libyschen Küste nach Italien organisiert haben könnte, wie der Staatssender ERT berichtete.
Überlebende sagten aus, für die Todesfahrt 5.000 bis 6.000 Euro pro Kopf gezahlt zu haben. Am Montag werden die mutmaßlichen Schleuser dem Staatsanwalt vorgeführt.
Wie konnte das Unglück geschehen?
Nach Angaben der Geretteten war das Boot von der libyschen Stadt Tobruk aus in See gestochen. Unter den Passagieren seien Menschen aus Syrien, Pakistan, Afghanistan und Ägypten gewesen.
Schon am Dienstag hatten italienische Behörden die griechischen Nachbarn über ein voll besetztes Fischerboot im griechischen Such- und Rettungsbereich informiert. Die Küstenwache und vorbeifahrende Frachter hätten den Passagieren per Funk wiederholt Hilfe angeboten. Diese hätten jedoch abgelehnt, sagte ein Sprecher der griechischen Küstenwache. Stattdessen hätten sie angegeben, nach Italien weiterreisen zu wollen. Laut NGO vor Ort hätten die Geflüchteten die Hilfe abgelehnt, weil sie Angst vor Pushbacks aus Griechenland hatten und nach Italien.
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Küstenwache griff erst bei Seenot ein
Zudem habe sich das Boot in internationalen Gewässern befunden, deshalb konnte die griechische Küstenwache erst eingreifen, als es in der Nacht zum Mittwoch in Seenot geriet und kenterte.
Als Ursache des Unglücks vermuten die Behörden eine Panik an Bord. Die Küstenwache habe das Boot nach der Kontaktaufnahme weiterhin beobachtet und plötzlich abrupte Bewegungen wahrgenommen, sagte der Sprecher. Dann sei der Kutter gekentert und schnell gesunken. Am Wetter habe es nicht gelegen. Das sei verhältnismäßig ruhig gewesen, hieß es.
Griechenland hat die Kontrollen seiner Gewässer in den vergangenen Jahren bereits massiv verschärft, um illegale Migration abzuwehren. Deshalb wählen Schlepper und Migranten zunehmend gefährliche, lange Routen von der Türkei und Staaten des Nahen Ostens südlich an Griechenland vorbei direkt nach Italien, um in die EU zu gelangen.
Rufe nach legalen Fluchtrouten
Wie häufig nach solchen Katastrophen werden Rufe nach legalen und sicheren Fluchtrouten laut. Zuletzt forderte das die österreichische Migrationsforscherin Judith Kohlenberger im KURIER-Interview.
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Auch die Vereinten Nationen haben am Mittwoch die Sicherheit von Fluchtrouten gefordert. "Das ist ein weiteres Beispiel für die Notwendigkeit, dass die Mitgliedstaaten zusammenkommen und geordnete, sichere Wege für Menschen schaffen, die zur Flucht gezwungen sind", sagte Sprecher Stephane Dujarric am Mittwoch in New York. In diesen Prozess müssten "Herkunftsländer, Transitländer und Bestimmungsländer" eingebunden sein.
Über 20.000 Geflüchtete im Mittelmeer
Seit 2014 sind nach UNO-Angaben mehr als 20.000 Migranten auf dem Mittelmeer gestorben. Ende Februar 2023 kam es in Italien vor der Küste Kalabriens zu einem Bootsunglück mit mindestens 90 Toten.