Politik

Auf Wahlkampftour mit Marine Le Pen

Kichern, Gedränge, Handy-Geknipse. Kaum hat Marine Le Pen ihr Wahlkampflokal in der Kleinstadt Hénin-Beaumont verlassen, um in Begleitung von TV-Teams zum wöchentlichen Markt aufzubrechen, wird sie auch schon umringt. Zufällige Passanten und herbeibestellte Mitglieder ihrer Rechtspartei "Front National" (FN) – so genau lässt sich das nicht ausmachen – wetteifern um ein Foto mit "Marine". Eine Passantin hat es geschafft, stolz zeigt sie ihr Handy.

Was ihr an Marine Le Pen gefalle? "Alles", schwärmt die Frau. Was genau? "Wegen der Krise", murmelt sie: "Mein Sohn hat einen Abschluss als Baumaler, findet aber nur Zeitarbeit-Jobs, und auch die werden immer seltener." Kann die von Le Pen gewünschte Auflösung der EU Abhilfe bringen? "Ich weiß nicht."

Kein Zweifel: Die Nationalistin ist in Hénin populär. Der Ort im Herzen des vormaligen Kohlereviers Nordfrankreichs verfällt wirtschaftlich seit der Schließung der Minen. Ein Teil der tonangebenden SP-Politiker versank in einem Affärenstrudel.

Ein sanftmütig auftretender Vertreter einer TV-Kabelfirma konnte in dem verarmten Städtchen ein straff organisiertes Anhängernetz der FN etablieren – eine Seltenheit für die Rechtspartei, die andernorts nur über wenig Aktivisten verfügt, auch wenn sie beachtliche Wahlergebnisse erzielt. So kam Marine Le Pen bei der Präsidentenwahl dank Medienauftritten landesweit auf 18 Prozent. Im Wahlkreis Hénin gelangte sie mit 31 Prozent auf Platz eins.

Das dürfte aber bei der Parlamentswahl kaum für ein Mandat reichen. Pro Wahlkreis wird nur ein Abgeordneter gewählt. Die FN-Kandidaten, die über keine Verbündeten verfügen, sind für die Stichwahl schlecht gerüstet. In Hénin kam im zweiten Durchgang der Präsidentenwahl der Sozialist François Hollande auf über 60 Prozent.

Auf diesen Stimmenvorsprung der verbündeten Linken setzt Jean-Luc Melenchon. Der aus der SP ausgetretene Politiker, der den "Front de Gauche" (Linksfront) gegründet hat, kam bei der Präsidentenwahl landesweit nur auf elf Prozent. Kurzfristig beschloss Melenchon, in Hénin zur Parlamentswahl anzutreten. Ein Sieg über Le Pen würde sein Gewicht gegenüber SP-Präsident Hollande wieder erhöhen.

Untypisches Duell

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Vor Ort wird dieses spektakuläre, aber für das restliche Frankreich eher untypische Duell unterschiedlich aufgenommen. Einige, wie etwa die Grünen, die in der Gegend zwei Gemeinden erfolgreich verwalten, sprechen von einem "unwürdigen Schaukampf zwischen Pariser Schaumschlägern". Aber andere Einwohner sind Melenchon dafür dankbar, dass er dem Anti-Le-Pen-Lager wieder Schwung verliehen hat. Immer wieder fallen ihm Leute um den Hals: "Sie retten die Ehre von Hénin", strahlt eine junge Mutter und hält ihm ihr Baby entgegen.

Tatsächlich hat der kantige Politiker einen Teil der Wutwähler für sich eingenommen und damit Le Pen einen Riegel vorgeschoben. Die Situation ist deswegen so dramatisch, weil Fabriken, die nach Schließung der Minen für neue Hoffnung sorgten, wieder geschlossen haben. Oft kamen so genannte "Patrons voyoux" (Gangster-Bosse) zum Zug, die Subventionen einstreiften, das Firmenkapital plünderten und verseuchte I­ndustriebrachen hinterließen.

Betrügerischer Bankrott

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"Die Leute merken, dass Melenchon auf Seite der Arbeiter steht", sagt Brigitte Petit. Die 55-jährige Gewerkschafterin führt mit ihren Ex-Kollegen einen erbitterten Kampf vor Gericht gegen den amerikanischen Gepäckgiganten "Samsonite". Dessen Investmentfonds steht im Verdacht, er habe das Werk schließen, die Abfertigungen an die Belegschaft aber umgehen wollen. Er stieß den Betrieb an eine Gruppe ab, die inzwischen für "betrügerischen Bankrott" verurteilt wurde. Die neuen Inhaber sollten Solarzellen herstellen, was nie geschah. Als die Fabrik sperrte, waren die Kassen leer.

Melenchon sagt, die Wähler müssten über die Frage entscheiden: "Wer ist an der Krise schuld? Der Migrant oder der Banker?" Nachsatz: "In Hénin gibt es nicht einmal halb so viel Migranten wie im Landesschnitt, aber die Arbeitslosigkeit ist doppelt so hoch."

Parlamentswahl: Zwei Runden

SP liegt vorne Wenige Tage vor der ersten Runde der Parlamentswahl am Sonntag liegen laut Umfragen die Sozialisten vorne. Sie kämen auf bis zu 290 Sitze, das konservative Lager, angeführt von der bürgerlichen UMP, käme auf 220 Sitze. Der Front National rechnet mit drei Sitzen.

Zweiter Wahlgang Im ersten Wahlgang ist für den Einzug ins Parlament die absolute Mehrheit im eigenen Wahlkreis nötig. Schafft dies kein Kandidat, ziehen all die Bewerber mit mehr als 12,5 Prozent der registrierten Wähler in die zweite Runde am 17. Juni. Gewählt ist dann der stimmenstärkste Kandidat.

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