Mental Health

Ihre Mutter hortete: "Ich will nicht so werden wie sie"

Kleidung, Steppdecken, Putzmittel, Tabletten, Bücher stapeln sich in den Kästen, in den Gängen der Wohnung. Kartons überall.  Sechs Staubsauger drängen sich auf engstem Raum. All das gehört der Mutter, für all das hat sie Schulden gemacht. Und jetzt ist sie tot, all das ist ihr Erbe.

Ihre Tochter Marlen Hobrack steht vor einer schier unlösbaren Aufgabe: Sie muss die Wohnung, den Hort, räumen. Die deutsche Autorin bewältigt den Berg an Dingen, auch indem sie darüber schreibt.

Erbgut nennt sie den Text (gerade bei Harper Collins erschienen) und der Name steht nicht nur für die Gegenstände, sondern auch für die Angst: Wird sie wie ihre Mutter war? „Alles, nur nicht wie sie sein“, schreibt Hobrack. 

Warum Menschen horten

Ihre Mutter hortete. „Aber sie war kein Messie.“ Auf diesen Unterschied legt Hobrack Wert. In den Räumen der Menschen, die horten, ist es trocken. Es riecht nicht, es krabbelt nichts. Die Bausubstanz bleibt heil.

Bei Pathologischem Horten handelt es sich um eine eigenständige Krankheit. Horten liegt vor, wenn ...

  1. ... Personen, anhaltende Schwierigkeiten haben, Gegenstände wegzuwerfen oder sich von ihnen zu trennen, unabhängig von deren tatsächlichem Wert.

  2. ... die Menschen empfinden, die Gegenstände aufheben zu müssen. Wegwerfen bedeutet Unbehagen.

  3. ... es zu einer Ansammlung von Gegenständen kommt, die Wohnbereiche überfüllen und deren eigentliche, zweckgemäße Nutzung erheblich beeinträchtigen. 

  4. ... das Verhalten in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen bedeutet. 

Es gibt eine Unterscheidung zum Messie-Syndrom. Bei diesem kann es auch zu Feuchtigkeit und Schimmelbildung im Haushalt kommen.

Die Wissenschaft nimmt heute an, dass genetische Faktoren beim Horten eine wichtige Rolle spielen. Manche sprechen von 50 Prozent Erblichkeit. Wer hortet, leidet unter dem Drang, große Mengen an Besitztümern anzusammeln. Die Menschen können sich nicht mehr von den Dingen trennen, auch wenn diese kein Geld wert sind, oder keinen Nutzen haben. 

Aber auch von den Eltern erlerntes Verhalten fällt ins Gewicht. Horten geht zudem oft mit Depressionen einher. Jeder 20. Deutsche – in Österreich wird es nicht anders sein – ist betroffen.

Hobrack merkt auch an den Rückmeldungen, es ist kein seltenes Phänomen, dass der Mutter oder Vater kaufsüchtig ist oder hortet. „Die Kinder stehen dann vor dem Problem, dass die Dinge als Erbe über sie kommen“, sagt die Autorin.

Und es gibt so viel zu kaufen

Marlen Hobracks Mutter und vielen, vielen anderen wird das Bestellen – ob bei Tele- oder Onlineshopping -  zum Verhängnis. So einiges geht auf Ratenzahlung, auch die Beträge für die kleinen Dinge können die Käufer abstottern. Manchmal ist das Bestellte längst verstaubt oder kaputt, wenn die letzte Rate fällig wird.

Hobrack fühlt auch unserem Konsumverhalten auf den Zahn. Da eine Belohnung für sich, dort ein Goodie. Ohne nachzudenken. 

133 Millionen Pakete wurden vergangenes Jahr alleine in Wien zugestellt, pro Werktag waren es 540.000 Packerl, meldeten die Kleintransporteure. Wenn auch nicht alles Konsumware ist, zeigen die Zahlen doch welche Mengen bestellt werden.

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„Ich glaube, dass wirklich wir alle, die wir in so ja doch einer ausgeprägten Konsumkultur leben und auch sozialisiert worden sind, uns vor Augen führen müssen, dass Konsumieren etwas ist, das man nur dann machen sollte, wenn man wirklich etwas braucht“, sagt Hobrack. Und stattdessen? „Mit lieben Menschen etwas Schönes machen, sich Zeit nehmen, Zeit gönnen.“

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Marlen Hobrack

Erbgut. Was von meiner Mutter bleibt. 

HarperCollins

240 Seiten

Letztendlich ist Hobracks „Erbgut“ auch eine tiefenpsychologische Reise, wo sich so mancher selbst erkennen kann. Angst vor dem Tod der Eltern, Angst, Zwangsstörungen zu erben. Ist sie geblieben? Jetzt wo das Buch geschrieben und die Wohnung geräumt ist?

Bewältigung der Angst

„Die Auseinandersetzung mit dem Verhalten meiner Mutter - all das war auch Teil dieser Angstbewältigung“, sagt Hobrack. „Sich vor Augen zu führen, dass mein emotionales und psychisches Leben und Erleben sehr viel stabiler ist als das meiner Mutter. Trotzdem weiß ich auch, ich sammle gerne Dinge.“ Doch die panische Angst ist der Achtsamkeit gewichen. Bei Marlen Hobrack zuhause ist die Konsequenz: Ausmisten.