Meinung

Vorsicht, Nebenwirkungen

Fast sieben Monate ist es her, dass das Virus in Österreich zum ersten Mal nachgewiesen wurde. Seither haben wir alles beobachtet auf der gesundheitlichen und politischen Hochschaubahn: Angst, sogar Panik, Todesfälle, dann wieder Erleichterung, ein Aufatmen, geradezu eine Relativierung dessen, was uns davor erzählt wurde. Nun ist die Krise wieder akut – die gesundheitliche hat sich ohnehin längst zu einer ökonomischen und auch gesellschaftlichen ausgewachsen. Wir sind vielleicht noch nicht mitten in der zweiten Welle, aber definitiv in der zweiten Phase der Bewältigung, bei der es nicht mehr um primäre Probleme, sondern vor allem um sekundäre geht.

Primäre Probleme – das sind bei der Virusbekämpfung ganz nahe liegende: Wie behandelt man Erkrankte am besten? Wann wird der diesbezügliche Fortschritt so groß sein, dass dem Virus der Giftzahn gezogen ist? Wie (und warum) hat sich die Sterblichkeitsrate verändert? Wann ist – abgesehen von abstrusen Jubelmeldungen aus Russland oder dem Weißen Haus – wirklich mit einer Impfung zu rechnen? All das subsumiert unter der zentralen Frage: Wann sind wir diesen Dreck endlich los, ohne dramatische Folgeschäden angerichtet zu haben?

Stattdessen, statt uns also um den medizinischen und soziologischen Bereich zu kümmern (UNS, weil Medienkritik freilich immer eingeschlossen ist), diskutieren wir in der Öffentlichkeit vor allem anderes, nicht mehr das Primäre, sondern das Sekundäre. Es geht weniger um das Virus als um politische Handlungen, um Richtigkeit der eigenen Position, um Kategorisierung und Ausgrenzung.

Das Virus ist prädestiniert dafür – wie heutzutage fast alles prädestiniert dafür ist –, Rechts und Links gegeneinander auszuspielen. Es ist geeignet, Trennlinien zwischen Regierung und Opposition, aber auch innerkoalitionär zu markieren. Vor allem ist das Virus nur ein weiteres ideales Instrument für mutmaßliche Stimmenmaximierung und Abwertung des politischen Gegners. Man darf sogar annehmen, dass nicht alle Entscheidungen der vergangenen Wochen und Monate rein inhaltliche Gründe hatten, sondern zumindest mit einem Auge auf Umfragewerte geschielt wurde. Möglicherweise lässt sich sogar das sommerliche Laissez-faire darauf zurückführen. Nun jedenfalls ist die Wien-Wahl ein Turbo für diese Entwicklung.

So weit, so Politik. Leider geht mit dieser Zweckorientierung der Drang zur wechselseitigen Schuldzuweisung einher. Der betrifft das altbekannte Match zwischen Wien und dem Bund ebenso wie Scharmützel mit EU-Partnern. Die Virologie wird zum Politkampf. Dabei ist Covid-19 definitiv nicht im Boxring in den Griff zu kriegen, sondern nur, wenn man die Ebene mühevoll und gemeinsam durchschreitet. Und sich auf den Kern des Problems konzentriert.