Vier Tage Ringen um EU-Hilfen: War das jetzt ein Erfolg?
Das EU-Budget steht. Das Match der beiden Elefanten Angela Merkel und Emmanuel Macron gegen die aufmüpfigen "Sparsamen Vier" mit Sebastian Kurz ging mit einem Kompromiss zu Ende. Österreich bekommt höhere Rabatte, die Corona-Hilfen können ausgezahlt werden und die EU schaut wieder in die Zukunft. Aber ist das Paket auch ein gelungener Kompromiss?
Eine Ökonomin und ein Ökonom kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen:
PRO: Geld allein wird es nicht richten
Antieuropäisch, egoistisch und geizig. Die „sparsamen Vier“, die durch Finnland während des EU-Gipfels zu den „sparsamen Fünf“ wurden, mussten sich in den vergangenen Tagen viele garstige Bezeichnungen gefallen lassen.
Nach langen Verhandlungen wurden die ursprünglich geplanten Zuschüsse dann von 500 auf 390 Milliarden Euro gesenkt. Zusätzlich wurden die Rabatte für Nettobeitragszahlungen aus Ländern wie Österreich erhöht. Die „sparsamen Fünf“ hatten ursprünglich kritisiert, dass die nicht rückzahlbaren Corona-Zuschüsse die EU zu einer Transferunion machen würden.
Kredite hätten aus ihrer Sicht gereicht, um den von der Krise besonders betroffenen Staaten zu helfen. Insbesondere dieses Argument wurde von Befürwortern des deutsch-französischen Vorschlags als „antieuropäisch“ abgetan. Man müsse doch Italien und Spanien jetzt helfen. Von einer schnellen Erholung würden wir als kleine, exportabhängige Volkswirtschaften ja auch profitieren.
Dazu ist festzuhalten: Natürlich sollten die Staaten der EU sich bei einem unverschuldeten Schock wie den durch Corona gegenseitig helfen. Wir sind in einer Union. Dem Wort müssen auch Taten folgen. Allerdings nicht ohne Wenn und Aber.
Denn es steht außer Debatte, dass der Großteil der besonders betroffenen Staaten im Süden bereits in den Jahren vor Corona schlecht gewirtschaftet hat. Transfers in Milliardenhöhe belohnen diese schlechte Gewohnheit und den fehlenden Reformwillen. Das Resultat wäre eine nur noch größere Kluft in Europa: Ein Norden, der sich ausgenutzt fühlt. Und ein Süden, der auch in den kommenden Jahren keinen Grund hat, seine maroden Strukturen zu reformieren. Deswegen ist es wichtig und richtig, die Zuschüsse so gering wie möglich zu halten. Zusätzlich sollten strikte Bedingungen bei Verwendung dieser auferlegt werden.
Geld alleine wird es nicht richten. Wer die Bedenken der „Sparsamen“ pauschal als „unsolidarisch“ oder gar „geizig“ abtut, beschädigt die Gemeinschaft. Dass die Anliegen von Staaten wie Österreich oder den Niederlanden nicht parteipolitisch motiviert sind, ist evident. Innerhalb der „sparsamen Fünf“ werden Sozialdemokraten, Liberale und Konservative durch ihren Unmut über die geplanten Zuschüsse vereint.
Das zeigt: An den darunterliegenden Problemen und Meinungsverschiedenheiten zwischen den einzelnen EU-Ländern muss gearbeitet werden. Gegen eine Transferunion einzutreten ist nicht antieuropäisch. Im Gegenteil.
Die Debatte, die die „sparsamen Fünf“ durch ihre Kritik angestoßen haben, ist enorm wichtig. Bevor überstürzte Entscheidungen getroffen werden, muss überlegt werden, ob diese langfristig helfen und gegen ein weiteres Zusammenwachsen wirken. In diesem Fall würden sie es tun. Der Unmut im Norden und das schlechte Wirtschaften im Süden würden nur weiter populistische und tatsächlich antieuropäische Strömungen befeuern.
Um die EU zusammenzuhalten, benötigte es Kompromisse, die sowohl für Nettozahler als auch -empfänger akzeptabel und in ihrem Interesse sind. Das ist mühsam, aber es zahlt sich aus.
Heike Lehner studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen und ist Ökonomin bei der Denkfabrik Agenda Austria
CONTRA: Bittere Pille wegen der Verkleinerung der Direkthilfen
We did it!“, ließ Ratspräsident Charles Michel verlauten. Auch wenn der Weg dorthin nicht schön mitanzusehen war: Das Ergebnis des EU-Gipfels ist historisch. Erstmals reagiert die EU finanziell gemeinsam auf eine Wirtschaftskrise, indem sie selbst Anleihen ausgibt. Der Prototyp gemeinsam wirksamer Fiskalpolitik ist durchgesetzt – ein großer Unterschied zur Bewältigung der Finanzkrise vor einem Jahrzehnt, als die EU-Reaktion bloß die Summe der unkoordinierten Handlungen der Mitgliedsstaaten war.
Einem Mini-Konjunkturpaket folgte damals viel zu schnell ein Kürzungsregime, dem Griechenland, Irland, Spanien, Portugal und indirekt Italien zum Opfer fielen. Daher ist es gut, dass sich die neue deutsch-französische Kompromisslinie weitgehend durchgesetzt hat.
Merkel und Macron haben die Verantwortung für ganz Europa angenommen – gerade Angela Merkel ist dabei über den nationalen Schatten des deutschen Sparwahns gesprungen. Mit dieser wirtschaftspolitischen Kursänderung besteht die Chance, dass die EU diese Krise besser meistert – und damit am Ende weniger verlorene Wirtschaftsleistung und Arbeitslose beklagen muss.
Die „geizigen Vier“ fürchteten, dass eine von ihnen angeprangerte „Schuldenunion“ kommt. Allein der Begriff ist irreführend, weil jeder Nationalstaat ohnehin Anleihen ausgibt. Sie ist nichts, wovor man sich fürchten müsste: Es heißt bloß, europäische Ausgaben auch europäisch (und damit günstiger) zu finanzieren.
Handelspartner
Hilft das der Wirtschaft Südeuropas wieder auf die Beine, ist das auch gut für das kleine Österreich: Schließlich ist Italien unser zweitwichtigster Handelspartner und österreichische Firmen sind in Zentral- und Osteuropa sehr aktiv.
Im Gegensatz zu Dänemark oder Schweden kann sich die Republik einen Niedergang dieser Länder nicht leisten. Österreichs Teilnahme an den „geizigen Vier“ war von Anfang an eine politische Idee, die unsere nationalen Interessen außer Acht ließ.
Eine bittere Pille ist indes die deutliche Verkleinerung der direkten Hilfen: statt 3,8 Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung 2020 sind nun 3 Prozent an Zuschüssen vorgesehen. Das Forschungsprogramm muss mit 5 statt 14 Mrd. auskommen, die Mittel für das Investitionsankurbelungsprogramm wurden auf ein Fünftel zusammengestrichen.
Regionen, die stark von klimaschädlichen Industrien abhängen, bei der Umstellung zu unterstützen? Dafür ist nur noch ein Drittel der geplanten 30 Mrd. vorgesehen. Ausgerechnet das Budget für Gesundheit wurde gegenüber dem Ausgangsvorschlag empfindlich zusammengekürzt. Zu hoffen ist, dass auch das reduzierte Paket stark genug ist, um Europas Wirtschaft mit einem prognostizierten Einbruch von 7 Prozent wieder anzukurbeln. Entscheidend ist, darauf zu achten, dass die Milliarden sinnvoll und vor allem klimagerecht ausgegeben werden: nötige Investitionen gäbe es genug: von einem leistungsfähigen europäischen Bahnnetz bis zu starken Gesundheitssystemen mit guten Arbeitsbedingungen.
Oliver Picek ist Chefökonom am Momentum Institut, der „Denkfabrik der Vielen“ in Wien.