Meinung

Neuseelands Premierministerin: Vorbild für alle Politiker

Grübe man von Österreich aus einen Tunnel zum Mittelpunkt der Erde und dann immer weiter auf die andere Seite der Welt, käme man ziemlich genau bei Christchurch heraus. Das bedeutet, dass es auf unserem Planeten keinen Punkt gibt, der weiter entfernt ist. In vielerlei Hinsicht.

Vor acht Tagen, während des Freitagsgebetes, hat dort ein rechtsradikaler Australier ein Massaker verursacht: Er schoss in Moscheen auf Moslems, tötete 50 Menschen und verletzte ebenso viele. Eine Woche danach gab es in Neuseeland eine Gedenkfeier, die weit mehr war als ein Trauerakt – sie glich einem nationalen Schulterschluss. Womit wir bei der Rolle von Ministerpräsidentin Jacinda Ardern wären: Wie sie seit dem Terrorakt agiert, ist vorbildlich.

Nun möchte man in Europa nicht einmal daran denken, dass ein so blutiger Anschlag wieder auf unserem Kontinent passiert. Allein von vergangenen Attacken kennen wir aber die Reaktionen. Handelt es sich um Terror einer rechten Gruppierung, sind in der öffentlichen Wahrnehmung alle Rechten mehr oder weniger mitschuld und die Linken sowieso – immerhin waren sie es, die die Einwanderung forciert haben. Handelt es sich um linke Attentäter, ist sowieso die Hölle los. Und sind die Attentäter Islamisten? Dann gnade Gott allen Moslems.

Im nächsten Schritt rufen populistische Politiker (nicht nur in Europa, auch jener im Weißen Haus) nach Vergeltung. Einwanderungsgesetze werden verschärft. Rechte Parteien machen sich die Tragödie zunutze. Und der Gesellschaft droht die Spaltung.

„Salam alaikum“

Was aber ist in Neuseeland passiert? Die Premierministerin schickte Versöhnungssignale in alle Richtungen aus. Bekundete Solidarität mit jedem Moslem im Land. Eröffnete eine Parlamentssitzung mit dem Gruß „Salam alaikum“. Trug als sichtbares Zeichen ein Kopftuch. Kündigte strengere Waffengesetze an. Verweigert dem Attentäter die namentliche Nennung. Und schaffte es mit dieser Haltung sogar, dass sich Biker-Gangs als Security-Personal vor Moscheen aufstellten. Nichts und niemand sollte – und konnte bisher – das Land auseinanderdividieren.

In Europa, wo es nur um stupide Klassifizierung in Rechts und Links, in In- und Ausländer, in Katholiken oder Moslems, in Gläubige oder Ungläubige geht, wäre eine solche Reaktion derzeit undenkbar.

Warum Jacinda Ardern das schafft? Wohl nicht nur, weil Neuseeland vom Rest der Welt weit weg liegt und allein deshalb solidarischer sein muss. Vielleicht auch wegen ihrer Persönlichkeit: Die 39-jährige Labour-Regierungschefin ist eine Politikerin gegen alle Klischees. Sie zeigt Trauer, steht im Leben, nahm sich sogar Zeit für die Karenz. Und sie zieht rasch und vernünftig Konsequenzen, die der Gemeinschaft nützen, statt sie zu entzweien. Politik ist FÜR Menschen da – das ist die Lehre aus Christchurch, auch für uns.