Warum es manchmal eine Schachtel Seife braucht, um zu verstehen
Von Anja Kröll
In meinem Keller, ganz hinten, im untersten Regal lagert eine bunte Schachtel. Darauf sind überdimensionierte Blumen abgebildet, darin liegt Seife.
Geschätzte 40 Stück Kernseife. Für meine Oma war Kernseife das Mittel schlechthin. Zum Waschen der Kinder, zum Waschen der Böden und zum Waschen der Kleidung. Als ich vor Jahren meinen Keller entrümpelt habe, bin ich auf die Schachtel mit den großen Blumen gestoßen. So wie auf gefühlte 100 Stück Einmachgläser und 200 Plastikschüsseln zum Einfrieren.
Wie oft habe ich damals geflucht, warum man so unnützes Zeug nicht aussortiert, sondern damit den Keller zustellt?
Der Opa hat dann immer zu mir gesagt: „Das waren andere Zeiten. Wir wussten ja nicht, wann wir wieder was haben.“
Mein Opa ist Baujahr 1928. Für ihn war und ist Krieg mehr als ein Wort. Er kennt Entbehrung, Hunger, Verlust und das Gefühl, dass vielleicht nie mehr Frieden herrscht. Ein Gedanke, der in den letzten Tagen auch für viele jüngere Generationen greifbar geworden ist. Durch den Krieg in der Ukraine, den Krieg vor unserer Haustür.
Als ich am vergangenen Wochenende im Keller die bunte Schachtel mit den großen Blumen vom untersten ins oberste Regal geräumt habe, habe ich viel darüber nachgedacht.
Nun steht sie rechts neben den Dosen mit gefüllten Paprika und Ravioli in Tomatensauce. Mein Keller hat nun ein Regal mit Notvorräten. Kann man übertrieben finden. Aber man kann sich auch hinsetzen und seinen 93-jährigen Opa fragen, wie das damals im Krieg war und wie es ihm mit den aktuellen Entwicklungen geht.
Weil die Kernseifen-Schachtel im Keller einen auch daran erinnert, dass es nichts Schlimmeres gibt als das Schweigen der Alten und die Ignoranz der Jungen.