Löwenfrauen: Mut kann man nicht kaufen
Von Laila Docekal
Stellen Sie sich vor, Sie gehen bei Rot über die Straße und werden dabei von einem Polizisten erwischt. Er holt weit aus und legt Ihnen eine auf. Mit der flachen Hand. Oder mit einem Schlagstock. Oder er schießt auf Sie, mehrfach.
Es ist schwer nachzuvollziehen, was auf iranischen Straßen gerade passiert. Doch es hat einen Grund, warum man dort nicht mehr sagt, „Sei wie ein Mann“, sondern „Sei wie eine Frau“. Für die Iranerinnen ist die oben beschriebene Situation derzeit Alltag – weil sie das Kopftuch falsch tragen, oder weil sie Nagellack tragen. Oder zu viel Make-up. Sie lassen sich das nicht mehr gefallen. Sie holen aus und schlagen zurück. Sie treten. Sie schreien die Beamten an und beschimpfen sie. Und nicht nur das. Passantinnen und Passanten machen mit und eilen der Angegriffenen zu Hilfe. Stoßen den Polizisten weg, bringen das Opfer in Sicherheit. Inzwischen belegen unzählige Videos, die im Internet hochgeladen werden, solche Szenen. Und jedes Mal sind es Gänsehautmomente.
Die Iraner nennen diese Frauen Shir-Zan, Löwenfrauen. Starke, stolze, anmutige Frauen, die darum kämpfen, ihre Flügel ausbreiten und in Freiheit leben zu können. Nicht umsonst wird der Leitspruch der aktuellen Bewegung „Zan, Zendegi, Azadi“, also „Frau, Leben, Freiheit“ mit der Parole der Französischen Revolution verglichen: „Liberté, Égalité, Fraternité“, „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“.
Ich habe dieser Tage ein Selfie einer Frau gesehen, der das Auge ausgeschlagen wurde. Sie zeigt mit ihren Fingern das Peace-Zeichen und schreibt dazu: „Mein größter Wunsch ist, mit meinem übrigen Auge zu sehen, wie wir siegen.“ Sie wird weiter protestieren gehen.
Im Netz kursiert ein treffender Satz dazu - schöner kann man es nicht sagen: „Sie haben versucht uns zu begraben; sie wussten nicht, dass wir die Samen sind.“