Akademisierung um jeden Preis
Von Martina Salomon
Auf Handwerker herabzuschauen ist dumm und hat böse Folgen.
über Akademisierung um jeden Preis
In Österreich herrscht, unterstützt von diversen, zum Teil recht fragwürdigen OECD-Studien, seit Jahrzehnten ein Dogma: "Wir brauchen mehr Akademiker!" Warum, fragt kaum jemand. Daher gibt es hohen Druck, dass möglichst das gesamte Pflegepersonal, die Kindergartenpädagogen und am besten gleich auch jeder Installateur irgendein Hochschulstudium abschließen sollte.
Diese (Pseudo-) Akademisierung hat unerwünschte Nebenwirkungen: Weil eine handwerkliche Ausbildung als Sackgasse gilt, werden Jugendliche in höhere Schulen gedrängt, selbst wenn sie eigentlich eine praktische Begabung hätten. Handwerkliches Geschick und Kreativität werden in den Schulen leider immer weniger gefördert. In Wahrheit konzentriert sich alle Energie (samt der teuren Nachhilfe) nur noch auf die sogenannten Hauptfächer. Wenn aber irgendwann einmal nur noch die Schwächsten aus "bildungsfernen Schichten", wie es "politisch korrekt" heißt, für die Lehre übrig bleiben, dann haben die heimischen Firmen (und deren Kunden) ein gewaltiges Problem.
Abschlüsse abgewertet
Aber auch am anderen Ende der Bildungshierarchie sind unerwartete Kollateralschäden aufgetreten: Hohe formale Bildungsabschlüsse sind nämlich immer seltener ein Garant für einen guten Job. Es hat insgesamt eine Abwertungsspirale eingesetzt: Aufgrund der schlechter werdenden Qualität der Lehrlinge holen sich Firmen lieber gleich Maturanten, die sie dann selbst ausbilden. Und für frühere Maturantenjobs werden jetzt Akademiker eingesetzt. So arbeitet dann letztlich die Germanistin als Sekretärin.
Die AHS-Lehrergewerkschaft hat am "Tag der Arbeit" aus dem Bildungsbericht der Statistik Austria eine interessante Zahl herausgefischt: In nur sieben Jahren – von 2005 bis 2012 – hat sich das Armutsrisiko von Akademikern verdoppelt und liegt mittlerweile sogar knapp vor jenen, die eine Lehre oder mittlere Schule absolviert haben. Junge Akademiker haben also keine besseren Aussichten als Handwerker. (Wobei Pflichtschüler unverändert gefährdet sind: Ihr Armutsrisiko liegt mit 20 Prozent fast doppelt so hoch wie jenes der Akademiker. Sprich: Keine Bildung ist das Schlimmste.)
Es ist Zeit für eine Trendumkehr: Höherbildung aller Gesellschaftsschichten ist ein ehrenwertes Ziel, aber Akademisierung um jeden Preis schadet mehr als sie nützt. Auf Handwerker herabschauen ist dumm und hat böse Folgen.
Immerhin hat Österreich ein international hoch geachtetes und viel kopiertes System der "dualen Ausbildung" in Schule und Firma. Wir brauchen mehr vife Praktiker, mehr Meister statt Master, auch Maturanten mit Lehre. Als Selbstständige haben sie in vielen Branchen bessere Aussichten auf einen guten Verdienst als die vielen Publizisten und Psychologen, die ein "Bakk." oder "Mag." im Namen tragen.