Meinung/Kommentare/Innenpolitik

Für Amazon gilt, was für Roma nicht gilt

Für Amazon gilt, was für Roma nicht gilt

Mag. Konrad Kramar
über den grenzenlosen Markt

Der freie Verkehr von Gütern und Dienstleistungen in einem grenzenlosen Markt wird als eines der grundlegenden Prinzipien der EU hochgehalten. Konzerne wie VW können sich den günstigsten Platz für ihre Fertigungsstraßen suchen, dort also, wo die Löhne am niedrigsten und die Förderungen am höchsten sind, und von dort aus ihre Ware zollfrei überall in die EU liefern. Firmen wie Amazon – das durften wir jüngst aus den Schlagzeilen erfahren – nützen auch noch die obszönsten Steuerspar-Modelle innerhalb der EU, wie etwa jenes in Luxemburg, um ihre Gewinne über alle offenen Grenzen hinweg zu maximieren.

Es fällt also schwer, das Verhalten bettelarmer rumänischer oder bulgarischer Roma moralisch zu verurteilen, die ebenfalls dem Lockruf des Geldes – in diesem Fall eben aus staatlichen Sozialkassen – folgen. Dass der EuGH in seinem jüngsten Entscheid dieses Recht jetzt erstmals beschränkt hat, ist aus der Sicht Deutschlands, dessen Sozialstaat dafür aufkommen muss, absolut verständlich. Dem EU-Grundprinzip vom grenzenlosen Wirtschaftsraum widerspricht es diametral. Dass dieses Prinzip an seine Grenzen stoßen würde, war allerdings absehbar: Die Aufnahme von Staaten, deren Einkommensniveau um ein Vielfaches unter unserem liegt, aber auch die Krise, die große Teile Südeuropas gerade wieder zu Armenhäusern macht, haben die sozialen Gräben in Europa vertieft.

Das Versprechen der EU, diese Kluft zu schließen, ist in weite Ferne gerückt – und so wird auch eine andere Kluft immer größer, die zwischen Anspruch und Wirklichkeit der EU. Das zeigt der Amazon-Steuerskandal auf ebenso erschütternde Weise wie die Armutszuwanderung nach Deutschland.