Meinung/Kommentare/Aussenpolitik

Großbritannien muss sich neu erfinden

London wird nicht nur auf die Schotten genauer hören müssen.

Mag. Konrad Kramar
über die britische Zukunft

Zuletzt waren die Angst um den Arbeitsplatz und die Sorge um die Lebensversicherung doch wichtiger als der Traum von einer Nation Schottland. Die Zukunftsängste, die in diesem Wahlkampf Schlagzeile für Schlagzeile den Schotten quasi aufgedrängt wurden, gaben den Ausschlag für das "Nein" zur Unabhängigkeit. Nur jene – etwa in den Armenvierteln von Glasgow –, die im konservativen Großbritannien ohnehin nichts mehr zu verlieren haben, hielten trotz all der Warnungen vor abwandernden Firmen, steigenden Preisen und demnächst versiegenden Nordsee-Ölquellen an ihrem Los-von-London fest.

Premier David Cameron aber wird all die Versprechen von mehr politischer und wirtschaftlicher Autonomie, die er den Schotten erst angesichts des drohenden Sieges der Unabhängigkeitsbewegung gegeben hat, so leicht nicht los.

Verlorene Identität

Die Regierung in Westminster und das Finanz-Establishment in London, die die Sorgen und Nöte da oben im Norden traditionell gerne ignorieren, werden wohl ihr Selbstverständnis ein bisschen umkrempeln müssen. In Schottland, aber ebenso in den Industrieregionen im Norden Englands, gärt nicht umsonst seit Jahrzehnten die Wut auf eine Hauptstadt, die meint, der Nabel der Welt zu sein und daher oft eher im Sinne ihrer Großbanken agiert als im Auftrag der Bürger. Die City und ihre Finanzindustrie mögen einen Gutteil des britischen Budgets erwirtschaften, eine Perspektive für das ganze Land bieten sie trotzdem nicht. Selbst für viele Gegner der Unabhängigkeit in Schottland besteht deren britische Identität aus kaum mehr als ein bisschen Sympathie für die Queen und einem Hauch Nostalgie für das britische Empire. Als Basis für eine gemeinsame Zukunft in einem Land ist das reichlich wenig.

Auch deshalb kam Schottlands Unabhängigkeitsbewegung mit ihrer positiven Vision von einem Kleinstaat nach Vorbild Skandinaviens – also sozial und pro-europäisch – einem Erfolg zeitweise sehr nahe. Dass sich zuletzt die Ängste durchsetzten, mag Cameron diese Abstimmung gerettet haben. Um den dauerhaften Zusammenhalt Großbritanniens zu sichern, wird man in London ein paar Grundhaltungen überdenken müssen – auch die verbiesterte Europafeindlichkeit.