Schlichtende Gemüter
Irgendwas Schreckliches musste jedenfalls passiert sein, denn so hatte ich den Mann nebenan nur einmal schreien gehört.
über die Szenen einer Redaktionsehe.
Sie
Das muss das Werk einer Verrückten sein!!! Es war 6.51 morgens, als dieser Aufschrei des Mannes nebenan von der Küche ins Schlafzimmer donnerte. Da lag ich gerade und dachte über den Sinn des Lebens nach, und wie lange es noch dauern würde, bis er die Nachttischlampe von der Reparatur holt. Die eh nur seit fünf Wochen fertig ist. Ich dachte auch: Schade, dass Nachttischlampen noch nicht laufen können, das wäre ein Fortschritt. Dabei stellte ich mir vor, wie die Lampe bei uns anläutet und sagt: Hallo, ich bin’s dein Nachttischlamperl! Darf ich vielleicht rein? Ich würde Ja sagen, es umarmen und beseelt sein.
Irgendwas Schreckliches?
Und da, mitten in meine Gedankenwelt hinein, dieser Ausruf – entsetzt, empört, erschüttert. Sofort hatte ich arge Bilder im Kopf: Jemand war in unseren Garten eingedrungen und hat ihn zerhäckselt. Jemand hat unsere Fenster mit ordinären Begriffen zugesprayt. Jemand hat seinen Mist vor unsere Tür geleert – ein Racheakt. Meine Fantasie erzeugte immer noch schlimmere Bilder. Irgendwas Schreckliches musste jedenfalls passiert sein, denn so hatte ich den Mann nebenan nur einmal schreien gehört. Da war ihm ein Bügeleisen auf den Fuß gefallen. Während ich all das dachte, sprintete ich Richtung Küche, woher der Schrei kam. Um ihm beizustehen, da zu sein, um irgendwas zu tun. Da stand er und starrte auf den offenen Geschirrspüler, den ich so vor mich hin befüllt hatte. Nicht akribisch und auch nicht mit ganzem Befüll-Herzen – aber eigentlich total egal. Ihm offensichtlich nicht, denn der "Verrückten"-Aufschrei hatte meiner Person gegolten. Da muss ich wohl Aristoteles zitieren: "Es gibt kein großes Genie ohne einen Schuss Verrücktheit." Richtige Auskenner sehen: Dieses Geschirrspüler-Werk ist total genial.
Er
Neben den drei bedeutendsten Fragen unseres Universums (Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Und warum haben Frauen immer kalte Füße?) gibt es für mich noch eine wesentliche Überlegung, die mich nachdenklich macht: Wie kann es sein, dass der Geschirrspüler in Partnerschaften eine derart bedeutende Rolle einnimmt? Seit mittlerweile zwei Jahren treten gnä Kuhn und ich mit unserem Paaradox-Programm auf. Immer wieder haben wir neue Texte eingebaut, immer wieder neue Ideen auf die Bühne gebracht, aber am Ende werden wir immer wieder von fröhlichen Menschen mit kaum einer Thematik so heftig konfrontiert wie mit jener der Ordnungsprinzipien in Geschirrspülern. Das Phänomen der Disharmonie scheint dabei ein Naturgesetz zu sein – Credo: Erst das Geschirrschlichten, dann das Streitschlichten.
Bewusst schlampig
Ein wenig kann ich aber nach vielen Ehejahren zur Lösung des Rätsels beitragen. So habe ich herausgefunden, dass die Struktur-Performance meiner Frau von unterschiedlicher Qualität ist. Je nach Laune. Es ist also überhaupt keine Frage des Könnens, im Sinne eines Pleiten-Pech-und-Pfannen-Schicksals, sondern eine des Wollens. Heißt: Je zügelloser mein Alltagsfrevel, desto schlampiger ihr Einräumplan. Ich hole eine Lampe nicht aus der Reparatur – Schüsseln quer. Ich lasse Socken liegen – Töpfe über den Gläserhalterungen. Ich lagere Zeitungen auf dem Esstisch – Teetassen zwischen Tellern. Man denkt sich daher: Aha, ein subtiler Protest. Oder sogar: Na bumm, das Werk einer Wahnsinnigen. Und ja, gelegentlich denkt man in einer Ehe einen Hauch zu laut.
Unsere nächsten Auftritte: 24. 10., 8. 11. im Wiener Rabenhof, 28. 10. im Rothneusiedlerhof, 5. 11. in Tulln (Danubium). paaradox.at
Twitter: @MHufnagl