Meinung/Kolumnen/Paaradox

Karten für die EURO

Die Botschaft erreichte mich am Arbeitsplatz – da verliert man besser nicht die Contenance.

Gabriele Kuhn
über die Szenen einer Redaktionsehe

Sie

Manches braucht seine Zeit. Eine Stelze zu verdauen, etwa. Oder aber die Tatsache, dass der Mann nebenan mir Folgendes per SMS mitteilte: Schatz, ich habe tatsächlich trotz zehnfacher Überbuchung zwei EURO-Karten für das Spiel ÖsterreichIsland gewonnen. Das ist am 22. Juni, zwei Tage vor unserem Hochzeitstag. Hochzeitsreise gefällig?

Contenance, Contenance!

Die Botschaft erreichte mich am Arbeitsplatz – da verliert man besser nicht die Contenance. An sich wäre ich aber gerne aufgestanden und hätte die Veranstaltung mit folgenden Worten verlassen: Sorry, muss heim, dem Mann einen sehr, sehr großen Koffer packen und ihm ein One-Way-Ticket in die Stadt der Selbstliebe checken. Aber so. So schrieb ich nur ein Wort zurück, nämlich: „Unfassbar!“ Das ist ein neutraler Begriff, der kann alles und nichts heißen – Begeisterung, Überraschung, Ablehnung. Danach beschloss ich zehn Mal über die Sache zu schlafen. In der Hoffnung, irgendwann aufzuwachen, weil ich nur geträumt hatte, dass der Liebste die „Hochzeitsreise“ in einem Flieger mit entfesselten Fans beginnen und in einem Stadion mit knattspyrnuaðdáendur* enden lassen möchte. Und dass sich diese Traum-Sequenz mit dem Rot-weiß-roten-Dessous-Präsent als Ver(w)irrung des Herzens entpuppen würde. Zehn Tage und Nächte später war alles so wie zehn Tage und Nächte zuvor. Mit dem Unterschied, dass Hufi entschlossen war, zu buchen. Was er mit folgenden Worten anmoderierte: Kommst mit? Oder bleibst z’Haus? Ich replizierte mit einem Lied – nämlich „So ist das Leben“ von Josef Hader: Der Eine kommt nach Paris. Der Andere kriagt den Gstiss.So is. Alles Bluuuunzen. Is eh wurscht. Und Hufi buchte. Für sich und einen anderen männlichen Glückspilz. *Achja: knattspyrnuaðdáendur –das ist Isländisch und heißt Fußballfans.

Twitter: @GabrieleKuhn

Er

„Unfassbar“. Das stand also auf meinem Display. Als der Liebsten Antwort auf meine Jubelmeldung, dass mir das gnädige Schicksal zwei Karten für das entscheidende EM-Gruppenspiel der Österreicher ins Postfach gezaubert hatte. Einfach nur „Unfassbar“. Und da ich mir in sehr vielen gemeinsamen Jahren in sehr vielen Dialogen die Deutungshoheit über die Interpretation ihrer Wortwahl hart erarbeitet habe, wusste ich sofort: Uijegerl. „Unfassbar“ ist kein „Jööö!“ Kein „Oui! Oui! Oui!“ Und erst recht kein Zitat von Kurt Tucholsky, der einst schrieb: „Da stehe ich auf der Brücke und bin wieder mitten in Paris, in unserer aller Heimat. Da fließt das Wasser, da liegst du, und ich werfe mein Herz in den Fluss und tauche in dich ein und liebe dich.“ Nix da. „Unfassbar“ steht vor allem für: „Schon allein der Gedanke daran, Hand in Hand mit Herzkönig im Strom rot-weiß-rot gewandeter Menschen in ein Stadion zu pilgern, um dort ein Fußball-Hochamt gegen wenbitteschön zu feiern, entbehrt für mich absolut jeder Sinnlichkeit.“

Hinfühlen

Und etwa so offenbarte sie mir dann auch ihre Zweifel. Dass unser Paris, wie wir es so oft schon im amourösen Pas de deux erobert haben, in diesem Sommer nicht ihr Paris sein würde. Was ich wiederum ... jetzt kommt’s ... verstehen kann. Mehr noch: Verstehen will. Denn so ganz wirkungslos sollten ihre jahrelangen, mantraartigen Hinweise auf die Qualität des Hinfühlens nicht gewesen sein. Obwohl mich das geistige Bild von la Gabriele mit Fan-Zylinder, Arnautović-Schal und rot-weiß-rot bemalten Kuhn-Backerln grenzenlos amüsiert. Aber, c’est la vie. Und zwar im Sinne von: unfassbar stimmig.

Unsere nächsten Paaradox-Auftritte in Wien: 13. 3., 3. 4. und 25. 4. (jeweils 20 Uhr). Karten unter rabenhoftheater.com

michael.hufnagl@kurier.at

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