Meinung/Kolumnen/Paaradox

Gemeinsame Blicke zurück

Daher mache ich traditionell zu Silvester eine Best-of-Mann-nebenan-Aussagenliste.

Gabriele Kuhn
über die Szenen einer Redaktionsehe.

Sie

Tage wie diese eignen sich bekanntlich für Rück- und Vorausblicke. Womit ich beim Mann nebenan lande, schließlich sind langjährige Beziehungen für Gedanken dieser Art prädestiniert. Dazu gehört natürlich auch das äußerst beliebte Genre Du hast damals g’sagt.

Perfides Speichern

Wo viel miteinander geredet wird, pflocken sich diverse Aussagen, etwa in Form von Versprechungen oder Anschuldigungen in einem Gehirnareal fest, das es nur bei Menschen gibt, die in Langzeit-Beziehungen leben. Es wächst mit den Jahren, heißt Nucleus nachtragiensis und speichert auf perfide Art vom Partner einst Gesagtes ab. Parallel dazu gibt es bei jedem den "temporalen Lügenlappen", dessen Funktion es ist, eigene Aussagen zu vergessen, zum eigenen Vorteil zu verändern oder so zu verzerren, dass der andere möglichst deppert ausschaut. Auf uns umgelegt ist es so, dass mein Nucleus nachtragiensis eine Spur größer ist als seiner, während sein Lügenlappen fast alle Gehirnareale überlappt. Daher mache ich traditionell zu Silvester eine Best-of-Mann-nebenan-Aussagenliste, an deren obersten Chartplätzen jedes Jahr das Gleiche steht: 1. Daran kann ich mich nicht erinnern. 2. Das habe ich sicher nicht gesagt. 3. Du verdrehst mir immer die Worte im Mund. Allerdings unterschätzt er mein Nachtragiensis-Potenzial, das mich dazu befähigt, ihm Dinge vorzuwerfen, die er vor 25 Jahren getan hat. Also zu einer Zeit, wo wir einander noch gar nicht kannten. Da setze ich dann meinen Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast-Blick auf – und lache. Weil es das beste Rezept ist, Dinge zu verarbeiten, die man eh nicht mehr verändern kann. In diesem Sinne: Auf ein neues, herzerfrischendes, liebevolles 2017. Und einen guten Blick zurück – ohne Zorn.

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Er

Eine meiner edelsten Charaktereigenschaften ist, dass ich nicht nachtragend bin. Ich gestehe jedoch: Ich wäre gerne nachtragender. Denn das würde mir in ehelichen Diskussionen so manchen Trumpf in die Hände spielen. Das Problem ist leider: Ich kann mich fast immer an fast nix erinnern. Wenn es also in diesen ganz besonderen Stunden des ... sagen wir ... hochemotionalen Diskurses ans große gegenseitige Aufrechnen geht, stehe ich mitunter als doofer Stammler da. Dessen einziger Trick zur Vernebelung der Vergesslichkeit ("Das muss ich nicht näher ausführen, du weißt genau, was ich meine") von der Liebsten natürlich längst durchschaut und daher wirkungslos ist.

Selektives Gedächtnis

Faktum ist: So ein schlechtes Gedächtnis ist nicht nur im Allgemeinen tückisch, sondern erst recht im Speziellen, wenn es auf eine Frau trifft, die weiß, durch welche Gasse wir 2006 gegangen sind, und welches Hemd ich trug, als ich diesen "echt gemeinen" Satz gesagt habe. In solchen Fällen ärgere ich mich, weil ich nämlich sehr genau rekapitulieren kann, dass im Champions-League-Finale desselben Jahres bei Barcelona Ronaldinho halb links neben Eto’o gespielt hat, aber sicher nicht, wo wir unsere Urlaube verbracht haben. Was mir hingegen sofort einfällt, sind jene drei Sätze, die sie im Streitfall am häufigsten sagt (ich wüsste sogar dreißig): 1. Ich lass’ mich nicht für deppert verkaufen. 2. Ich weiß, was ich gesagt habe. 3. Ich würde mir wünschen, dass du mir nur ein einziges Mal zuhörst. Das tue ich natürlich. Sonst wüsste ich ja nicht, dass sie irgendwann auch voller Hingabe sagt: "Und jetzt umarm’ mich bitte." Daher hat sich ein Neujahrsvorsatz auch immer verwirklicht: unbedingt weiter lieben!

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