Meinung/Kolumnen/Paaradox

Leidensweg und Lichterglanz

Das gemeinsame Abendessen ist für alle Familienmitglieder eine gute Gelegenheit, etwas loszuwerden.

Gabriele Kuhn
über die Szenen einer Redaktionsehe.

Sie

Das gemeinsame Abendessen ist für alle Familienmitglieder eine gute Gelegenheit, etwas loszuwerden. Mitunter hat das was therapeutisches. Es wäre also wenig verwunderlich, würde der Mann nebenan den kollektiven Erdäpfelgulaschschmaus demnächst mit folgenden Worten einleiten: „Mein Name ist Michael, ich bin anonymer Problemoholiker.“

Herr H. ist gerne schicksalsschwanger. Und immer wenn er das Dinner mit Sätzen wie „Du, heute war ich im Baumarkt und stell dir vor, was dort passiert ist“ einleitet, denke ich: „Oje, net scho wieder.“ Dann erhebe ich mich und mache vorsorglich eine Flasche Wein auf. Weil ich Folgendes weiß: Die Geschichte wird lang, kompliziert und vor allem dramatisch. Ohne alkoholische Untermalung ist das kaum zu ertragen. Zumal seine sagenumwobenen Anekdoten fast immer in einer Streiterei münden. Warum? Ganz einfach: Weil ich ihn nicht ausgiebig genug für das ihm Widerfahrene bedaure. Weil ich nicht sage: „Armer, schwarzer Michi“ und ihm dabei das Ohrlapperl kraule. Im Gegenteil: Ich kritisiere ihn meist für das Erlittene und mache ihn dafür verantwortlich.

Böse Regal-Mafia Aber ehrlich: Hätten Sie Mitleid mit jemandem, der es nicht schafft, ohne Drama Zünder aus dem Baumarkt mitzunehmen? Der es nicht schafft, Tannenzweige zu organisieren, ohne dabei nicht einmal auszuzucken? Der kein Packerl von wo abholen kann, ohne dabei Dinge zu erleben, die eine 100-teilige Schicksalssoap füllen würden? Doch niemals macht er sich für das Versagen verantwortlich, sondern die anderen. Die Regal-Mafia, die Don Hufnagl im Visier hat. Die Weihnachtszweigerl-Gang, die Hufi hasst. Die Packerl-Partie, die Santa Michael ein Ei legt. In diesem Sinne freue ich mich schon auf den Heiligen Abend und auf die Geschichte „Als der Waldbauernhufi das Weihnachtsessen holen ging.“

Twitter: @GabrieleKuhn

Er

Weihnachten ist bekanntlich das Fest der Polemik, daher will ich nach den Gedanken da drüben vor dem nächsten neuen gemeinsamen Jahr auch noch etwas loswerden: Meine Frau erzählt zwar weniger Abenteuer-Geschichten aus dem Alltag, das liegt aber nur daran, dass auf nahezu allen Erledigungspackerln ein Kärtchen mit meinem Namen („Michael“ oder „Dodel“, wie’s beliebt) hängt. Im Haushalt indes hält es sich mit der Arbeitsteilung die Waage, eines ist für sie aber immerzu unter ihrer Würde: das Austauschen einer Glühbirne. Keine Ahnung, warum diese Tätigkeit, die weder Talent noch den Willen zu harter Arbeit voraussetzt, mit so einer Selbstverständlichkeit in mein Ressort fällt, aber vielleicht ahnte ich bisher nur nichts von einer tückischen Gewinde-Allergie.

Leuchtkraft So hängt etwa in unserem Wohnzimmer ein sogenannter Beleuchtungskörper, der aus fünf Lämpchen besteht. Klar, dass gelegentlich eines den Geist aufgibt. Dann warte ich. Denn erstens verwandelt der Verlust eines Leuchtkraft-Fünftels unser Heim nicht in einen geheimnisvollen Darkroom, zweitens mag ich es, wenn das Erwartbare passiert. Sie sagt auch verlässlich „Schau, da ist ein Lamperl kaputt“ und meint: Du hast doch sicher genügend von den Dingern auf Vorrat gekauft, gehst sofort zum Kasten im Nebenraum, holst ein neues und machst sofort, dass es wieder gut ist.

Aber mitunter mag ich nicht gleich hupfen, sage „Jaja, mach’ ich dann“ und merke gar nicht, wie leichtfertig ich die Lämpchenaustauschverantwortung bis zu meinem Ableben übernehme. Denn lieber sagt sie fortan 23-mal „Du vergisst eh nicht auf das Lamperl“, als es auch nur einmal selbst zu wechseln. Das ist vermutlich ein Handgriff-Prinzip, das in Seminaren wie „99 pfiffige Ehestrategien für sie“ gelehrt wird. Egal. Liebe heißt eben oft auch: im Dunkeln tappen.

Twitter: @MHufnagl