Die Unvollendete(n)
Etwas, das für ihn fertig ist, ist für mich gerade mal mitten drin, also von der Vollendung Lichtjahre entfernt.
über die Szenen einer Redaktionsehe.
Sie
Vollzugsmeldungen sind auch in einer Ehe etwas Befriedigendes. Wieder etwas erledigt, nächster Punkt – zumal das Leben ja aus niemals enden wollenden To-do-Listen besteht. Was mich und den Mann nebenan hier massiv entzweit, ist ein Verständnisproblem. Etwas, das für ihn fertig ist, ist für mich gerade mal mitten drin, also von der Vollendung Lichtjahre entfernt. – Nehmen wir an, es ist Frühling. – Nehmen wir an, diese vom Winter gequälte Pflanze gehört gestutzt. – Nehmen wir an, Ameisen haben ihre Südosttangente vom Arbeitszimmer in die Schlafräumlichkeiten gebaut. – Nehmen wir an, der Mist stinkt. – Nehmen wir an, es lagern mehrere Bierkisten aus mehreren Jahrzehnten im Keller und gehören entsorgt, weil in den kuscheligen Kisten schon herzige Mäuseclans ihr herziges Mehrfamilienhaus errichtet haben. – Nehmen wir an, ich delegiere all diese To-dos an den Mann nebenan. Was passiert?
Es ist kompliziert
1. Ich werde eine komplizierte Geschichte hören, warum er gerade unpässlich ist und das alles im ungünstigsten aller ungünstigen Momente kommt. 2. Er wird dennoch jeiern Okay, ich mach’s. 3. Er wird es unter Stöhnen, Ächzen, Jammern und Sich-selbst-leid-Tun tun. 4. Irgendwann wird ein So, Schatz – alles paletti und erledigt, bin ich nicht toll? folgen. Dann werde ich – 5. – sehen: Die Blätter der Pflanze sind weg, zieren aber als Haufen Dreck die Terrasse (Ich mach das eh morgen!). Die Ameisen wurden ins Badezimmer umgeleitet (Fallen kaufe ich demnächst.). Der Mist stinkt jetzt vor der Eingangstür (Nerv bitte net!). Die Bierkisten scheppern bei jeder Kurve im Kofferraum des Family-Vans (Nur bis Samstag, Schatz.) In solchen Momenten habe ich eine Vision: Ich serviere ihm seinen nächsten Schweinsbraten weder durch noch knusprig mit den Worten: Essen fertig, Genuss kommt morgen.
Er
Ich bin sicher, Franz Schubert hat sich mit größter Lust seiner 7. Sinfonie genähert. Die ersten Sätze „Allegro moderato“ und „Andante con moto“ klingen jedenfalls so. Danach aber brach er sein Werk ab. Warum, darüber sind sich Experten bis heute uneinig. Wir wissen jedoch: Die Sinfonie ging als „Die Unvollendete“ in die Musikgeschichte ein. Und wird dennoch (oder sogar deswegen) gerne in den Konzertsälen dieser Welt gespielt.
Ich bin, zugegeben, gelegentlich der Schubert der Hausarbeit. Heißt: So manche meiner Tätigkeit schafft es nicht über das Allegro-moderato-Stadium hinaus. Aber das liegt auch daran, dass es in meinem Leben nur so wimmelt vor Kompositionen und Arrangements. Unmöglich, die alle in gleicher Qualität in einem großen Finale münden zu lassen.
Mehr Heimarbeit
Warum, ist rasch erklärt: Seit ich mein Büro vor einigen Monaten im gemeinsamen Nest errichtet habe, hat sich eine Satzouvertüre meiner Frau im Eiltempo verselbstständigt: „Du bist eh daheim, da kannst du ja ...“
... Wäsche waschen und aufhängen, wegräumen und aufräumen, saugen und putzen, einkaufen und kochen, Kind bringen und Kind holen, mit dem Hund gehen und noch einmal mit dem Hund gehen. Und so weiter (Stichwort Gartensaison). All das oft mit Zusätzen wie „Kurz einmal“ oder „Schnell einmal“. Um es en passant nach harmlosen Bitten aussehen zu lassen. Am Abend kommt die Regentin dann nach Hause, ermattet vom journalistischen Tun im Büro, bewertet meinen Fleiß oder formuliert ein launiges Texterl (siehe oben).
Dieser Tatsache widme ich dann wiederum gerne einen lauten 3. Satz in der unvollendeten Ehe-Sinfonie. Und zwar ohne Scherzo.
Twitter: @MHufnagl