Bussi Bussi
Was haben wir nicht einst öffentlich geschmust!
über die Szenen einer Redaktionsehe.
Sie
Es gibt viele Dinge, die sich im Laufe einer Ehe verändern. Wenn der Mann nebenan aufbricht, um ein paar Stunden oder auch Tage woanders zu verweilen, dann werden hier nicht mehr die schwarzen Fahnen gehisst. Eher im Gegenteil. So eine Wohnung ohne männliche Energie – also ohne Rasierschaumreste auf dem Badezimmerboden, Bartstoppelreste im Waschbecken, eingetrocknete Mokkatässchen, Kuchenbrösel eines billigen Supermarkt-Fertigkuchens, leere Versprechungen, volle Biergläser, 200 Tageszeitungen, die noch gelesen werden müssen und überall herumkugeln – hat schon was. Es ist ruhig, es brüllt keiner Tor oder Scheiß-Schiri, es will niemand Fleisch oder für einen irrelevanten Schwachsinn lange und ausführlich bedauert werden.
Gute-Nacht-Bussi
Aber darauf wollte ich gar nicht hinaus. Zu den sich verändernden Dingen gehört auch der Kuss. Ich beobachte, dass nur wenige Langverheiratete richtig küssen. Vielleicht tun sie es, aber nur in den eigenen Wänden, abends, an Feiertagen. Wie wir zum Beispiel. Aber was haben wir nicht einst öffentlich geschmust! Doch bei den meisten schrumpft irgendwann der Kuss auf Küsschen, um im Beziehungsherbst als Bussi dahinzudarben. Das aber ist wie Unkraut – immer und überall. Es wird oberflächlich verstreut, als gäbe es einen unerschöpflichen Bussi-Speicher. Holst du die Kinder, Bussi? Ich bin heute den ganzen Tag nicht da, Bussi. Mist ausleeren, Bussi. Guten Morgen, Bussi. Gute Nacht, Bussi. Diese niedere Lebensform des Kusses funktioniert ähnlich wie andere Automatismen, die sich ins Ehe-Leben einnisten. Habdichliebichdichauch ist einer davon. Schlimm? Nein, eher gesund. Eine verlässliche Konstante, die Sicherheit gibt. Ein Tag, der mit Hastdugutgeschlafen – jahabichduauch? beginnt, ist im Grunde ein guter Tag. Soll uns nie was Schlimmeres passieren
gabriele.kuhnfacebook.com/GabrieleKuhn60
Er
Vorerst eine kleine Relativierung. Wie so oft. Den Leserinnen und Lesern wird ja seit Bestehen dieser Kolumne schon aufgefallen sein, dass meine Frau immer zuerst schreiben (und vor allem dichten) darf. Das heißt: Sie formuliert mit Vorliebe Behauptungen, die ich danach in mühevoller Denkarbeit wieder behutsam an die eheliche Wahrheit heranführen muss.
So auch diesmal. Es ist richtig, dass meine Abreise nicht unbedingt zu ihrem Schluchzen und Wehklagen, wie es sich Margaret Mitchell nicht besser hätte ausdenken können, führt. Es ist aber auch richtig, dass eine solche Absenz regelmäßig zu einem SMS-Stakkato führt, das an meiner Wichtigkeit keinen Zweifel mehr lässt. Bin schon wach, und du? Habe heute Sitzung – wäh! Wo ist das Verlängerungskabel? Es ist heiß! Mir ist kalt! Sonnenschirm lässt sich nicht mehr aufspannen! Hund stinkt! Kind bockt! Und natürlich: Sei brav!Pass auf dich auf! Vermiss’ dich! Knutsch!
Herzlicher Reflex
Na bitte, da haben wir’s. Knutsch also. Kann auch Bussi sein. Oder Schmatz. Oder was auch immer Liebende einander an Lippenbekenntnissen zugestehen mögen. Tatsache ist nur: Es ist ein herzlicher Reflex, dessen Wert vermutlich erst dann erkennbar wird, wenn auf dem Display zunehmend autsch, ups oder pfff erscheint (von dümmlichen Emoticons, die Tränen vergießen, ganz zu schweigen).
Dennoch soll die Gefahr der lieblichen Beiläufigkeit, des schleichenden Downgradings zur hausgemachten Bussi-Bussi-Gesellschaft nicht unterschätzt werden. So schnappe ich mir dann meine Frau, schaue ihr bewusst in die Augen, umarme und ... küsse sie. Der (eifersüchtige) Hund winselt, die (angeödete) Tochter verdreht die Augen, aber ich denke: So viel Leidenschaft braucht der Alltag. Und erst danach wieder: Wir dürfen nicht vergessen, Mistsäcke zu kaufen.
michael.hufnagl @MHufnagl
Twitter: @MHufnagl