Meinung/Kolumnen/Ohrwaschl

Streiten und umarmen

Der Tod erzeugt oft Wortgewitter. Bei Günter Grass fiel es besonders heftig aus

Birgit Braunrath
über Günter Grass

Der Tod erzeugt oft Wortgewitter. Bei Günter Grass fiel es besonders heftig aus. Blitz und Trommelwirbel: Er war ein ... "wahrer Gigant / selbstgerechter Moralapostel / unbequemer Mahner / alter Dickschädel".

Die Kontroverse, die auf Grass eine magische Anziehungskraft auszuüben schien, spiegelt sich in den Reaktionen wider. Und inmitten all der Verneigungen und Verneinungen sagte einer: "Grass konnte streiten und umarmen."

Ist das nicht das wunderbarste kontroversielle Vermächtnis, das man dieser hyperpolarisierten Gesellschaft hinterlassen kann? Ihr gezeigt zu haben, dass Streit nicht Hass bedeutet, sondern Auseinandersetzung, und dass Umarmen nicht Zwangsvereinnahmung heißt, sondern Annäherung; dass beides sein darf, schon aus Respekt vor dem eigenen unverrückbaren Standpunkt und dem Standpunkt des anderen, die nicht immer dieselben Koordinaten haben können?

Undenkbar etwa in einem politischen System, in dem Fraktionszwang und Dauerbeschuss der Gegner Voraussetzung für korrekte Arbeit sind. Schade.