Meinung/Kolumnen/Ohrwaschl

Das Oscar-Märchen

Und wenn ich nicht gestorben bin, regiere ich noch heute

Birgit Braunrath
über den Oscar-Triumph für ein Märchen

Es ist eine Mär, dass Märchen gut für Kinder sind. Märchen sind eine Zumutung: Meist brutal – und sobald ihre Handlung kindgerecht wird, weil sie eine Wendung zum Guten nehmen, sind sie aus („Und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute“).

Märchen sind tatsächlich gut. Aber für Erwachsene, die reif genug sind, nicht alles für bare Münze zu nehmen, sondern ihre Symbolkraft zu verstehen, ihre metaphorischen Botschaften zu entschlüsseln, ihre Brutalität zu verarbeiten.

Daher ist es schön, dass mit „The Shape of Water“ ein Märchen für Erwachsene den Oscar als bester Film gewonnen hat. Einer Welt, die Tag für Tag den Kopfstand probt, tut die Heilkraft von Märchen gut – die Heilkraft echter Märchen, nicht jener, die der US-Präsident erzählt. Am Wochenende sagte er in Florida: „... Präsident auf Lebzeit, das ist großartig. Vielleicht sollten wir das eines Tages auch versuchen.“ Also sinngemäß: „Und wenn ich nicht gestorben bin, regiere ich noch heute.“ Hollywood gab die richtige Antwort darauf: Sein Name fiel während der Oscar-Gala kein einziges Mal.