Lohnpolitik neu ordnen
Die unmittelbar Beteiligten und alle Experten sind einer Meinung: Die heurige Herbstlohnrunde wird die größte Herausforderung der letzten Jahre. Die Balance zwischen Erhaltung der Kaufkraft und der Sicherung eines wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandortes als Voraussetzung für Arbeitsplätze, Einkommen und Finanzierung der sozialen Sicherheit wird immer schwieriger. Die vor mehr als einem halben Jahrhundert vom damaligen ÖGB-Präsidenten Anton Benya geprägte Benya-Formel (Abgeltung der Inflation und Anteil an der Produktivitätssteigerung) hat ihre Verdienste bei der Erhaltung der Kaufkraft, zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes ist ihr Beitrag aber enden wollend.
Überhaupt ist hier, wie in anderen Bereichen die Erkenntnis notwendig, dass sich mit den Modellen der Vergangenheit die Herausforderungen der Zukunft immer weniger bewältigen lassen. Die Zeit, in der wir leben, hat ein wesentliches Kriterium, nämlich das Tempo der Veränderung. Es war noch nie so atemberaubend wie derzeit. Vor allem das investive Kapital ist unglaublich mobil und wandert sehr rasch dorthin, wo die günstigsten Voraussetzungen zum Investieren sind. Da versagen einfache Formeln aus der Vergangenheit. Auch die Umsetzung durch die Berücksichtigung der Preissteigerungen der letzten zwölf Monate („rollierende Inflation“) ist vergangenheitsorientiert. Das Argument, das dies schon immer so war, ist sehr schwach und auch insofern nicht richtig, als die Benya-Formel Mitte der 1990er-Jahre angesichts der Herausforderung der Globalisierung praktisch ausgesetzt worden war. Außerdem war sie für einen längeren Zeitraum angelegt, nicht für ein bestimmtes Jahr.
In Zukunft brauchen wir eine Lohnpolitik, die zukunftsorientiert ist und die Verantwortung der Sozialpartner nicht nur auf die Erhaltung der Kaufkraft, sondern auch auf die Sicherung eines für die Arbeitnehmer (Arbeitsplätze!) so wichtigen konkurrenzfähigen Wirtschaftsstandortes erstreckt.
Dabei muss auch die Schizophrenie vermieden werden, der Regierung vorzuwerfen, sie tue zu wenig gegen die Inflation, aber gleichzeitig durch hohe Lohnforderungen die Inflation anzuheizen. Nach einer Schätzung der österreichischen Nationalbank erhöht ein Lohnabschluss in Höhe von 10 Prozent die Inflation in Österreich um 3 Prozentpunkte! Dazu kommt, dass die Lohnstückkosten seit 2015 schneller steigen als in der Eurozone, sie aber ein ganz entscheidender Standortfaktor im internationalen Wettbewerb sind. Dazu kommt, dass die in der Benya-Formel angesprochene Produktivität in Österreich nicht so stark steigt, wie es für die Konkurrenzfähigkeit notwendig wäre.
Übrigens: Von Benya entstammt auch der Ausspruch: Wir können nur verteilen, war wir vorher erwirtschaftet haben.
Günter Stummvoll ist Sprecher der u. a. von Industriellenvereinigung und WKO getragenen Initiative Standort