Abschied von X: Leben in Parallelwelten
Intelligenz ist laut dem US-Psychologen David Wechsler die Fähigkeit, „zweckvoll zu handeln, vernünftig zu denken und sich mit seiner Umgebung wirkungsvoll auseinanderzusetzen“. So kann man Kommunikation als Indikator für und Manifestation von Intelligenz heranziehen. Gerade Personen aus dem Mediensektor sind darauf angewiesen, sich mit verschiedenen Zielgruppen „wirkungsvoll“ auseinanderzusetzen und in Form einer im digitalen Zeitalter wichtigen, interaktiven Zweiweg-Kommunikation als Feedbackschleife über bspw. soziale Medien zu interagieren und daraus vernünftige Schlüsse für ihre Arbeit zu ziehen sowie in der Konsequenz auf der Verhaltensebene zweckvoll zu handeln.
Wird aber aus dem Wechselwirkungsprozess eine reine Einweg- und dadurch Einbahnkommunikation, droht ein Verlust an Reichweite und damit Wirkung. Sich selbstreferenziell nicht in der eigenen Meinung der geschlossenen Gesellschaft stören zu lassen, zählt nicht zum oben erwähnten Beispiel der intendierten kommunikativ-kognitiven Kapazität in der Kommunikationsbranche.
Auf diese Weise kommt es zur Segregation der Soziotope und dadurch zu einer Zersplitterung der Gemeinschaft in Feindbilder und nicht nur zum Verlust an Medienrezipienten an sogenannte alternative Medien mit ebensolchen Fakten. Gott sei Dank funktioniert wissenschaftliches Verständnis nicht nur in den Dimensionen 0 und 1.
Manche Medienvertreter operieren jedoch nicht nur in beruflicher Hinsicht lieber im geschützten Bereich und ziehen sich, nachdem der böse Unternehmer Elon Musk ihren „Safe Space“ mit – aus ihrer Perspektive – zumindest sozial Auffälligen geflutet hat, auf die erhofft homogenere Plattform Bluesky zurück. Dort, wo Niveau und Intelligenz noch ihren Raum haben. Meinungsbildung sowie Wachstum funktionieren nicht durch autistische Isolation, auch wenn dies sehr angenehm wäre. Es geht um eine Konfrontation mit offenem Visier. Sicher nicht ohne jegliches Niveau oder unter Inkaufnahme von jeglicher Ausformung von Devianz. Jedoch sind Unmut und Ärger im Ventil der scheinbaren Primitivität eine Ausdrucksweise ehrlicher Emotion, mit der es nahezu therapeutisch als Medienschaffender zu arbeiten gilt und deren Energien man sich mit ehrlichem Interesse für andere Meinungen für sein Medium zunutze machen kann.
Der reine Rückzug aus der vielschichtigen Wirklichkeit ist kein Zeichen von Reife und Entwicklung und dient nicht zur Steigerung der Realitätsnähe der Inhalte von Medienschaffenden. Das Drei-Affen–Prinzip “nichts sehen, nichts hören, nichts sagen“ – umgelegt auf die etablierten Medien und manche Parteien im Sinne von „ja nichts unangenehmes sagen“ – wird als Coping-Strategie für die Probleme der Zeit nicht ausreichen, wie die Ergebnisse der Wahlen in der Steiermark erneut belegen.
Daniel Witzeling ist Psychologe, Sozialforscher und Leiter des Humaninstituts Vienna.