Meinung/Gastkommentar

Kammersänger von wo?

In diesen Tagen wurde beziehungsweise wird von der Republik Österreich die gleiche Auszeichnung an zwei Personen vergeben, die verschiedener nicht sein könnten.

Der eine ist ein Mitglied des Staatsopernensembles, sängerisch unauffällig, doch medial stets präsent, fast nie im Zusammenhang mit seinen Auftritten in der Oper. Im Juni wird er zum Kammersänger ernannt.

Die andere Ernennung zum österreichischen Kammersänger geht an eine singende Frau, die ein Opernhaus leitet. Diese Kammersänger-Auszeichnung wurde in Salzburg vergeben im Rahmen der Pfingstfestspiele, die ebenfalls von ihr geleitet werden. Ist sie damit also eine Salzburger Kammersängerin? Und der andere ein Wiener Kammersänger?

Es ist ziemlich verwirrend mit den Damen und Herren Kammersängern. Wer verdient den Titel, durch welche Leistung, und wer vergibt ihn? Die Öffentlichkeit glaubt, der Titel des Kammersängers oder der Kammersängerin sei mit besonderen Gesangsqualitäten an der Wiener Staatsoper verbunden. Nun, die Realität zeigt uns etwas anderes.

Der Titel Kammersänger ist in Österreich eine staatliche Auszeichnung. Diese kann von jedem österreichischen Bürger für jemanden beantragt und eingereicht werden, und sie kann an jeden vergeben werden. Sie kann sowohl von der Wiener Staatsoper als auch vom Klagenfurter Stadttheater oder von einer Person eingereicht werden und sie gilt als „Berufstitel“. Sie wird im Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport von der Sektion IV, Abteilung 1 – zuständig für Auszeichnungsangelegenheiten, Sonderprojekte, Veranstaltungsmanagement, Digitalisierung. Medienangelegenheiten, Protokoll – vergeben.

Es ist also durchaus möglich, dass jemand Kammersänger wird, ohne dass der jeweilige Direktor eines Theaters damit befasst war. Es kann sogar gegen seinen Willen geschehen. Und der Intendant muss die Verleihung nicht einmal selbst vornehmen.

Der Kammersänger gilt definitiv als Berufstitel. Somit sind jetzt die populäre singende Salzburger Pfingstfestspielleiterin und Opernintendantin und der aus der zweiten Reihe singende Bariton der Wiener Staatsoper Berufskollegen. Ob das wirklich eine Auszeichnung ist?

Es zeigt jedenfalls, wie seltsam es sich mit solchen Verleihungen im Land der Titel verhält.

Ioan Holender war von 1992 bis 2010 Direktor der Wiener Staatsoper und gestaltet eine Kultursendung auf ServusTV