Gegen die Mehrklassenmedizin
Die Entwicklungen im österreichischen Gesundheitswesen sind besorgniserregend und erfordern dringend eine Neuausrichtung. Als Arzt mit über 40 Jahren Erfahrung – darunter zehn Jahre im Krankenhaus, zehn Jahre als Wahlarzt und 20 Jahre als Kassenarzt – sehe ich mich in der Pflicht, auf die schwerwiegenden Veränderungen hinzuweisen, die unser Gesundheitssystem durch falsche politische Weichenstellungen der letzten Jahre nachhaltig verschlechtert und grundlegend verändert haben.
In Österreich hat sich längst eine Mehrklassenmedizin etabliert! Bereits heute sind die Wartezeiten für wichtige Operationen auf bis zu ein Jahr angestiegen; auch bei Kassenärzten sind Untersuchungstermine häufig erst nach Monaten verfügbar. Dabei sollte es selbstverständlich sein, dass jede versicherte Person zeitnah einen Termin bekommt.
Als Grund wird gerne der Personalmangel genannt, doch die Probleme liegen tiefer: Ein Übermaß an bürokratischen und vermeintlich qualitätssichernden Maßnahmen vervielfacht den Arbeitsaufwand und verringert die Qualität der medizinischen Versorgung. So ist das Krankenpersonal oft damit beschäftigt, endlose Dokumentationen zu erstellen, anstatt sich ausreichend Zeit für die Patientinnen und Patienten nehmen zu können. In vielen Fällen entstehen dadurch unnötige Leerzeiten zwischen Operationen und die OP-Säle bleiben ungenutzt.
Ein weiteres Problem sehe ich darin, dass viele jüngere Ärztinnen und Ärzte zunehmend finanzielle Anreize in den Vordergrund stellen. Das traditionelle Verständnis des Arztberufs – geprägt durch Betreuung und Verantwortung gegenüber den Patientinnen und Patienten – tritt dabei in den Hintergrund. Eine Erklärung für diese Entwicklung sind wohl die falschen Auswahlkriterien für das Medizinstudium: Beim Aufnahmetest wird weniger Wert auf Empathie und Motivation für den Beruf gelegt und mehr auf reines Auswendiglernen.
Ebenfalls kritisch sehe ich das politische Vorhaben, ärztliche Stellen in den Praxen zugunsten von Gesundheitszentren zu reduzieren. Die Patientinnen und Patienten wünschen sich eine persönliche, ortsnahe und vor allem vertrauensvolle Betreuung. Eine attraktivere Entlohnung für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte könnte dazu beitragen, motivierte Kolleginnen und Kollegen für die Praxisarbeit zu gewinnen. Dazu gehört aber auch der ärztliche Nachwuchs, der bereit wäre, mehr Zeit für die Ordinationstätigkeiten aufzubringen. Das wird sich mit einer 4-Tage-Woche nicht ausgehen.
Abschließend wünsche ich mir einen Gesundheitsminister, der selbst über umfassende Erfahrung im Spitals- und im niedergelassenen Bereich verfügt und Gesundheitspolitik mit einem klaren Fokus auf das Wohl der Patientinnen und Patienten gestaltet – losgelöst von parteipolitischen Interessen.
Armin Breinl ist Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Graz.