Auch im Alter für das digitale Leben lernen
Es gibt Menschen, denen kann man das Lernen nicht vermiesen – und dann gibt es die anderen, denen von Eltern, Lehrern und anderen Angehörigen von Autoritätsberufen meist Lernunwilligkeit unterstellt wird, aber oft sind sie insgeheim schon früh entmutigte Perfektionist:innen.
Lernen heißt in meiner Sprache: Bildung von neuen Nervenzellen.
Wahrnehmungsneuronen, Handlungsneuronen (und, ganz wichtig, auch Verzichtsneuronen: die braucht man nämlich, um sinnloses Unterfangen aufgeben zu können, ohne auf sich selbst oder andere wütend zu werden).
Solch eine Wut findet sich bei all denen, die sich unzulänglich wähnen, wenn sie damit konfrontiert sind, dass Lernen immer auch Einüben und damit Zeit braucht – und je älter man ist, desto mehr Zeit (außer man stößt plötzlich auf eine bisher nicht geahnten Begabung).
Aber gewohnt, in Film und Fernsehen Spontan- und Alleskönnern (Talkmaster inbegriffen) zuzusehen, weiß man nicht, wie viel Zeit vor der Perfektion lag (und wie viele Helferlein).
Besserwisser
Wen wundert es daher, wenn listige Spindoktoren dieses Wutpotenzial orten und den kandidierenden „Beschützern der Hilflosen“ zur Forderung auf ein „Recht auf analoges Leben“ raten.
So lässt sich leicht um die Wählerstimmen derjenigen buhlen, die keine Lust haben, sich nach Absolvierung ihre jeweiligen Pflichtbeschulungen neuerlich etwas von „Besserwissern“ sagen zu lassen.
Es liegt also an Anreiz und Motivation – und genau an der mangelt es fast allen Angehörigen von „Besserwisserberufen“, Politmandatarschaft inbegriffen.
Besserwisserei kann der Beginn einer frühen sozialen Spaltung sein – wenn auf diese „Überheb-lichkeit“ nicht verzichtet wird.
Ich selbst habe in den drei Wahlperioden (1973 – 1987), in denen ich als Bezirksrätin und Landtagskandidatin den Blick hinter die Kulissen der Inszenierungen teilen konnte, immer wieder gehört, „wir müssen unsere Verdienste besser herausstreichen“ oder „verkaufen“, „was wir alles für euch gemacht haben“.
Versagensgefühle
Das ist Paternalismus: „erlernte Hilflosigkeit“ zu fördern und Folgsamkeit als Dank zu erwarten. Aber das funktioniert im Zeitalter von sozialen Medien nicht mehr, weil dort viele die konkreten Anleitungen vormachen (und auch viel zu viele vorgeführte Hoppalas helfen, sich nicht mehr als einsamer Versager zu fühlen).
Die Chance in der wachsenden gesellschaftlichen Spaltung zwischen Digital Natives und analogen Oldies besteht im gegenseitigen Beistand, und der kann regional organisiert werden – beispielsweise über Schulen.
Das wäre auch ein Beitrag zum „Aufeinanderschauen“ und gegen Vereinsamung.
Wenn man so etwas probeweise aufbaut, ist es auch wichtig, den Teilnehmenden Basiswissen über gewaltverzichtende Kommunikation vorzuführen: dazu gehört das geduldige (!) Vorleben und der Verzicht auf „Forderungen“ wie auch Versprechungen.
Rotraud Perner ist Juristin, Psychoanalytikerin, ehem. Univ.-Prof. u. a. für Prävention u. Gesundheitskommunikation