Ein Messi aus Pappe
Von Bernhard Hanisch
Es war noch gar kein Ball berührt, kein Tor geschossen, kein Spieler gefoult, da stand der absolute Star des WM-Spektakels bereits fest.
Lionel Messi. Die vorauseilende Bewunderung machte den Argentinier zum Hauptdarsteller, zum Stellvertreter, zum Gesicht der Weltmeisterschaft 2018. Als vielleicht größter Könner seines Fachs, der in Russland sein Gastspiel gibt.
Messi, der Trumpf, auf den die Werbestrategen setzten.
Und der kleine Argentinier ist auch der Appetithappen, wenn es um die ganz großen Pläne für die Zukunft geht.
Vor dem Luschniki-Stadion tritt ein Lionel Messi aus Pappe gegen den Ball. Dies geschieht in unmittelbarer Nachbarschaft von fünf bunten Kühen aus Plastik. China, das Tourismusland, wirbt in Russland wie viele andere aus dem Reich der Mitte kommende WM-Hauptsponsoren für seine einzigartige Großartigkeit.
Fernöstliches Ziel
Ein Fingerzeig als logisches Vorzeichen: 2030 wird die mächtige Wirtschaftsnation China die Fußball-Weltmeisterschaft veranstalten, obwohl der asiatische Kontinent nach Katar (2022) eigentlich zwei Mal Pause machen müsste.
So sah es die FIFA einmal vor, um ein Alibi zu haben für ihren unantastbaren Gerechtigkeitssinn, so wird die FIFA selbige Regel über den Haufen schmeißen, wie sie es immer tut, ist einmal das ganz große Geschäft in Aussicht gestellt.
In zwölf Jahren wird Messi, der chinesische Werbeträger, damit nichts mehr zu tun haben. Jetzt, 2018, erfüllt er seinen Zweck. Dass es nach dem aktuellen Stand der sportlichen Dinge wohl wieder nichts wird mit dem großen Titelgewinn in der Nationalmannschaft, dass er in zwei Spielen die Rolle des lustlosen Mitläufers eingenommen, dass Rivale Ronaldo ihm die Show gestohlen, dass es vor Nigeria zu zittern hat, kann der Pappfigur egal sein.
Eindrucksvoll wird bewiesen, wie relativ die Bewertung eines von hysterischen Kommentatoren zum Drama aufgeblasenen Versagens ist. In Argentinien bleibt er Gesprächsstoff, woanders auf dieser Welt wird man seinen vergebenen Elfmeter früher vergessen und jedenfalls schneller verzeihen. Einer wie Messi mag lange daran nagen, die Erwartungen nicht erfüllt zu haben. Doch ein gut bezahlter Schmerz erreicht irgendwann seine Grenzen. Das Business läuft – und ohnehin allen davon.
Auf die Bank gesetzt
Auch die mediale Maschinerie kann sich keine Pause erlauben. Da sitzt man in Moskau, schaut auf den Fernsehapparat und die Show nimmt kein Ende. Es spielen Polen gegen Kolumbianer, keine Spur von Argentiniern.
Doch auf einmal taucht er wieder auf. Lionel Messi. Nicht aus Pappe, sondern in bewegten Bildern. Er trägt ein rotes T-Shirt und er kann tatsächlich sprechen. Oder vielleicht tut es ein anderer für ihn. Jedenfalls lobt er in akzentfreiem Russisch die Bank, deren Trikot er gerade trägt. Der Star ballt die Faust, grinst, als hätte er soeben einen Elfmeter verwandelt.
Lionel Messi wird wahrscheinlich niemals Mitglied einer Weltmeistermannschaft, sein, aber er ist ein Gewinner dieser WM. Schon jetzt, ganz relativ betrachtet.bernhard.hanisch