Meinung/Fußball-WM

Die Folgen unsportlicher Schauspielkunst

Ob in Rio, São Paulo oder in Manaus am Amazonas – alle Supermärkte in allen brasilianischen Städten blieben geschlossen, als in 13.000 Kilometer Entfernung aus südamerikanischer Sicht Unfassbares passierte.

Brasilien ausgeschieden.

Statt Neymar und Co spielen die Belgier im Semifinale. Und brasilianische Kinder werden am Dienstag nicht mehr schulfrei bekommen.

Belgien hat nicht viel mehr Einwohner (11,3 Millionen) als Brasilien Kicker, doch auf Schlüsselpositionen Ausnahmekönner mit Premier-League-Erfahrung.

Tormann Thibaut Courtois (Chelsea) kann bei dieser WM die Nummer 1 mit der Nummer 1 werden. Regisseur Eden Hazard (ebenfalls Chelsea) wurde in England bereits einmal zum Spieler des Jahres geadelt.

Angreifer Romelu Lukaku ( Manchester United) braucht bei einer Kraftkammer nur vorbeizugehen und legt schon an Muskelkraft zu. Und Kevin de Bruyne wird bei Englands Meister Manchester City unter Pep Guardiola einen Stammplatz nicht nur haben, weil er konträr zum Kicker-Trend darauf verzichtet, seinen blassen Körper per Tattoos zur laufenden Landkarte zu verwandeln.

Logisch

Zusammengefasst: Belgien steht, als Nummer 3 der Weltrangliste ins WM-Turnier gestartet, weder überraschend noch unverdient unter den letzten Vier. Dennoch werden geschätzte 80 Prozent der 1,2 Millionen ORF-WM-Seher mit den Brasilianern sympathisiert haben. Weil deren Ballbeherrschung Fußballfeinschmecker faszinieren muss, sofern Neymar nicht gerade wieder das Spielfeld mit einer Liegewiese verwechselt (Zitat Toni Pfeffer nach Brasiliens 3:0 im WM-Test gegen Österreich).

Dass Neymar erneut nach Wien kommt, weil ihm der Iffland-Ring (Auszeichnung für Bühnenkunst) überreicht wird, ist nur Gerücht. Dass der Ruf eines sterbenden Schwans längerfristig nicht nur ihm, sondern seinem ganzen Team schadet, weil Neymar Schiedsrichter skeptisch bis voreingenommen macht, klingt plausibel. Tatsache ist, dass Brasilien gegen Belgien ein Elfer vorenthalten wurde. Der Video-Referee verabsäumte es, den Hauptschiedsrichter in Kasan über das Strafraumfoul an Gabriel Jesus zu informieren.

Tragisch

Generell wird Fußballern, speziell Südamerikanern, vorgeworfen, aus taktischen Gründen liegen zu bleiben und die Verletzten zu mimen. Eine Unart, die dazu führt, dass Zwischenfälle in der immer mehr substanzraubenden Sportart Fußball oft auch unterschätzt werden. So passiert es, dass sich gerade in Österreich Spieler mit gerissenem Kreuzband noch beim Abtransport mitleidlose Rufe wie „Steh auf Oida, du hast eh nix.“ anhören müssen. Während des Testspieles zwischen Werder Bremen und Ajax Amsterdam im Zillertal waren die Zuschauer freilich rasch verstummt, als das Ajax-Talent Abdelhak Nouri, 20, sich nicht mehr erhob.

Jetzt gab der Ajax-Sportdirektor (und Ex-Nationaltormann) Edwin van der Sar zähneknirschend zu: Die Erstversorgung habe nur unzureichend funktioniert. Nouri hatte einen Herzstillstand erlitten, das Gehirn zu lang zu wenig Sauerstoff bekommen.

Das war in Tirol vor genau einem Jahr. Am 8. Juli 2017. Seither befindet sich Nouri im Dämmerzustand. wolfgang.winheim