Meinung

Einen EU-Vertrag von Wien, bitte!

Höher, schneller, weitreichender: In den kommenden Wochen wartet ein Hürdenlauf auf das neue Spitzenpersonal der EU-Institutionen: EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen muss ihre Kommission angeloben und dann flugs Reaktions und Aktionspläne für den Brexit, den Handelsstreit mit den USA und anhaltende Probleme mit Italiens Budget ausarbeiten lassen.

Doch da ist noch etwas: Österreich. Die Republik hat im Zuge der Ibiza-Affäre und fortdauernder Aufdeckungen schweren Reputationsschaden in der EU genommen. Schon vorher musste man bis ins EU-Präsidentschaftsjahr 2006 unter der Ägide der damaligen Außen-ministerin Ursula Plassnik zurückgehen, um die letzte auffällige Positiv-Bilanz Österreichs in der EU zu orten. Seitdem haben zwar Experten wie Richterin Maria Berger und Ökonom Thomas Wieser viel beachtet in der EU gearbeitet. Doch Österreichs politische Frontfiguren fielen weder als EU-Visionäre noch als Krisenmanager auf. Zur Stunde steckt Österreich europapolitisch im Malus. Was also müssten die Parteien im Wahlkampf tun?

Erstens, bildet Positionen! Die Parteien müssen dies jetzt zu den Pflichtfeldern der EU-Politik tun und diese Positionen auch zur Debatte stellen: Wie steht welche Partei zu einer -Steuer? Zur Seenotrettung im Mittelmeer? Wie zur Budget- und Eurofrage, welche Krisenpläne gibt es für den Fall nächster Finanzkrisen? Wie würde man als Koalitionspartner auf Verletzung der Grund- und Menschenrechte in der EU reagieren?

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Kein Diskurs

Zweitens, erzählt den Wählern von dieser eigentlichen Europawahl im September! Die nächste Regierung wird weitreichende Entscheidungen im Europäischen Rat fällen. Klimarettung, Technologie und die Zukunft unseres Zusammenlebens müssen rasch politisch angefasst werden. Bisher aber glänzt der heimische Europadiskurs durch seine Absenz. Selbst in den medialen Sommergesprächen und beim Forum Alpbach kommen Überlegungen für Österreichs Europapolitik nach Ibiza nicht vor.

Parallel zu einem aktiven Europadiskurs im Wahlkampf sollten heimische Vertreter in Brüssel möglichst proaktive, breite Kontakt- und Vertrauensarbeit leisten. Für Durchschummler wird dieser Herbst schlicht und einfach zu heiß.

Drittens, Neustart! Nützt die Zäsur, erstellt einen österreichischen EU-Fahrplan. Den Verlauf des Brexit können wir in Wien nicht beeinflussen. Eine Trendwende der österreichischen Europapolitik aber lässt sich vorbereiten. Wenn die nächste Bundesregierung vom Malus in den Bonus kommen möchte, geht sie das Thema „EU-Vertragsänderung“ an.

Wien könnte einen neuen EU-Vertrag ausarbeiten. Diesen fordern viele, um die EU handlungsfähiger zu machen. Die nächste Regierung könnte 2022 einen „Vertrag von Wien“ zur Ratifizierung vorlegen. Dafür braucht es auch gar keine EU-Präsidentschaft. Es wäre nach den Verträgen von Maastricht, Nizza, Lissabon ein Signal aus Zentraleuropa. Zudem böte ein EU-Vertragsprojekt am Diplomatie-Standort Wien Gelegenheit, um die Worthülse des „Brückenbauers“ zu Mittel- und Osteuropa zu beleben. Es böten sich die brachliegenden Potenzialfelder Klima-, Stadt- und Digital-Diplomatie an. Ein „Vertrag von Wien“ würde Österreich in der EU neu positionieren. Der „Vienna Treaty“ könnte 2024 in Kraft treten – rechtzeitig zum Start der nächsten EU-Legislaturperiode.

Verena Ringler betreibt die europäische Projektgesellschaft European Commons für multidisziplinäre Vorhaben zu Politik und Gesellschaft. Der Text erschien zunächst in der Zeitschrift DATUM.