Meinung

Das Nervenkostüm hält – noch

Seit dem Wochenende liegt die Zahl der aktuell an Corona erkrankten Personen über der 1.000er-Grenze. Als am 16. März der Lockdown in Kraft getreten war, hatte das Gesundheitsministerium „nur“ 952 Infizierte ausgewiesen. Damals war das öffentliche Leben auf ein Minimum reduziert worden, jetzt werden bereits die nächsten Lockerungsschritte vorbereitet. Damals musste die Politik drastische Worte finden, fast schon bewusst Angst schüren, um die gesamte Bevölkerung von der Gefährlichkeit des Virus zu überzeugen, heute scheint die Sorge der meisten Menschen größer als jene der politisch Verantwortlichen.

Dass trotz der steigenden Zahlen und der aktuellen lokalen Ausbrüche in Oberösterreich bei den Entscheidungsträgern auf Bundes- und Landesebene das Nervenkostüm – noch – hält, liegt daran, dass das Coronavirus im Vergleich zum März berechenbarer geworden ist. Auch wenn uns noch immer nicht hundertprozentig erklärt werden kann, wann, wo und warum es an bestimmten Orten plötzlich auftritt. Aber mittlerweile funktioniert die Containmentpolitik, das Eindämmen der Infektionskette, das Lokalisieren von Clustern, um so eine ungeordnete Ausbreitung zu verhindern, rascher als vor Wochen – auch wenn es manchen Kritikern noch zu langsam geht. Damit kann regional reagiert werden, muss nicht ein ganzer Staat wegen eines Infektionsherdes in einem Bundesland in Geiselhaft genommen werden.

Der Entscheidungsrahmen der Bundesländer ist dabei breiter gefasst als vielfach angenommen. Von regionalen Vorgaben für eine Maskenpflicht bis hin zu einem begrenzten Lockdown ist alles möglich. Politisch ist das für die Landeshauptleute allerdings ein zweischneidiges Schwert. Es stärkt auf der einen Seite ihre föderale Entscheidungsgewalt. Auf der anderen Seite müssen sie jetzt ihren Kopf für solche unpopulären Verschärfungen hinhalten. Nicht mehr der Kanzler und seine Bundesregierung.

Wobei die Nervosität auch auf Bundesebene noch einmal steigen könnte und wird, wenn am Ende der Urlaubssaison tatsächlich die befürchtete zweite Welle eintritt und wegen der Heimkehrer die Cluster im Herbst nicht mehr so einfach eingegrenzt werden können. Dann wird es eine neue Strategie gegen das Virus geben müssen, die sich nicht bloß auf das verpflichtende Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes beschränken kann. Und die auch nicht ein neuerlicher, kompletter Lock-down sein kann, weil das die Wirtschaft tatsächlich nicht mehr verkraften würde. Die Hoffnung der Bevölkerung ist, dass die vielen Krisenstäbe auf Bundes- und Landesebene in den vergangenen Wochen so viele Erfahrungen gesammelt haben, dass sie dennoch die passende Antwort finden. Wer dann dazu die Entscheidungen trifft, ist weniger wichtig.