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Hofer schaut sich in Schladming um

Seit gestern weiß ich, wie man theoretisch Sprit aus Autos stiehlt. Obwohl, wer braucht das schon. So ganz ohne Auto.

Mag. Stefan Hofer
lebt den Öko-Wahnsinn

Und wieder nichts. Regina Sterz - im Training zwei Mal Schnellste und mit Startnummer 23 die letzte Österreicherin im Teilnehmerfeld - schwang im Zielstadion ab, und in der zuvor lautstark beschallten Zielarena wurde es still. Tausende Fans ließen geschockt die rot-weiß-roten Fähnchen zu Boden sinken, kein Gekreische, kein Jubel. Die selbsternannte Ski-Nation bleibt auch bei der Damen-Abfahrt der alpinen Skiweltmeisterschaft in Schladming ohne Medaille.

Die Mehrheit der Zuschauer strömte enttäuscht von der Tribüne hinab und hinaus zur Fan-Meile - zu den Bierständen. Frustverarbeitung auf Österreichisch. Man könnte auch sagen: Gefeiert wird trotzdem.

Aus dem Straßenbild verschwunden - fast

Was mich am Sonntag beim Lokalaugenschein vor Ort freute: Ich sah keine Plastikbecher oder anderen Müll auf den Straßen. Das kannte ich von früheren Großveranstaltungen auch anders (siehe dazu "Hofer, Marathon und Müll"). Man wolle durch Mehrwegbecher und Abfalltrennung möglichst wenig Mist produzieren, kündigten die Veranstalter an. So war der Tag in Schladming auch für mich trotz Klima-Challenge bewältigbar.

Allerdings war mein Bruder "schon ziemlich irritiert", erzählte er mir heute, als er im Gösser-Partyzelt bei seiner Bestellung fünf Bierdosen bekam, die ihm der Kellner in den Mehrwegbecher gießen wollte. Auf seine Nachfrage wurde ihm erklärt, dass es nur am Rande der Halle offenes Bier gibt - vermutlich wegen der Stromanschlüsse zum Kühlen. Er gab ihm die Dosen zurück und holte eine Runde Bier vom Zapfhahn. Ein "Green Event" mit Abstrichen, sozusagen.

Dennoch: Schladming warb mit dem Slogan "Skifest mit Herz - für unsere Natur" durchaus zurecht. Einige Beispiele: Eine neue Kläranlage mit Biogasnutzung wurde gebaut, die wichtigsten WM-Gebäude werden CO2-neutral mit Nahwärme aus dem Schladminger Biomasse-Heizwerk versorgt, der kürzlich fertiggestellte neue Bahnhof sowie Sonderzüge, Gratis-Öffis und Elektrobus reduzieren den Individualverkehr mit dem Auto. Zudem werden regionale Produkte angeboten - obwohl das mittlerweile auch selbstverständlich sein sollte.

Schneekanone als Symbol

All der gute Wille und die Realisierung bei dieser WM in den Bereichen Mobilität und Energieversorgung können über eines nicht hinwegtäuschen: Bald wird die derzeit betriebene Art des Wintertourismus durch den Klimawandel kaum noch rechtfertigbar sein.

Die Gründe sind mannigfaltig, pars pro toto lässt sich das Beispiel Schneekanone herauspicken. Ich hab aus diesem Anlass bei Global 2000 vorbei geschaut, die NGO lieferte mir erschreckende Fakten.

- 1992 waren in der Alpenrepublik 192 Beschneiungsanlagen in 127 Gemeinden stationiert. Heute sind allein in Salzburg 2500 Schneekanonen installiert, bundesweit wird der Bestand auf etwa 4500 geschätzt.

- Mittlerweile werden in Österreich 70 Prozent der Pisten beschneit, für ein Skigebiet werden im Schnitt etwa 20 Schneekanonen für die Beschneiung benötigt, besagen die Zahlen von Global 2000.

- Die Schneefallgrenze ist hierzulande seit 1950 um 100 Meter gestiegen, bis 2030 wird sie voraussichtlich um weitere 150 Meter steigen. Heißt konkret: Noch mehr Schneekanonen.

- Das Problem dabei ist schnell erklärt: Wasser- und Energieverbrauch von Schneekanonen sind enorm. Eine 20 KW-Propellerkanone benötigt für 400 Stunden Betrieb etwa 8000 kWh Elektrizität, soviel wie der durchschnittliche Jahresstromverbrauch von zwei Haushalten. Der Wasserverbrauch beträgt bis zu 600 Liter pro Minute.

Höhere Lagen, erhöhter Einsatz

Wintersportorte werden den Einsatz im Kampf gegen die Konkurrenz und den Rückzug des Schnees verdoppeln. Fragt sich nur, welchen Preis die Natur dafür zahlen muss. Ich war in diesem Winter selbst nicht Ski fahren und werde zumindest in dieser Saison auch darauf verzichten.

Notiz am Ende: 7,5 Stunden Zugfahrt an einem Tag haben zumindest einen Vorteil - man kann den aktuellen Blog im Kopf vorschreiben und nebenbei ein Buch lesen. "Tschick", von Wolfgang Herrndorf. Sehr empfehlenswert. Seit gestern weiß ich, wie man theoretisch Sprit aus Autos stiehlt. Obwohl, wer braucht das schon. So ganz ohne Auto.

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