Vucic zu Wahlen im Nordkosovo: "Tektonische Änderungen" passiert
Von Dennis Miskic
Bei den Bürgermeisterwahlen in vier mehrheitlich von Serben bewohnten Kommunen im Nordkosovo am Sonntag ist es nach Ansicht des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić zu „tektonischen Änderungen“ gekommen. Die Wahlen, die von lokalen Serben boykottiert worden waren, gewannen Kandidaten von zwei albanischen Parteien, der regierenden Vetevendosje und der oppositionellen Demokratischen Partei (PDK).
Laut Vučić handelte es sich im Grunde aber um eine Niederlage des kosovarischen Ministerpräsidenten Albin Kurti und der „Quinta“ – Frankreich, Großbritannien, Italien, Deutschland und die USA -, die ihn unterstütze. Die Serben hätten gezeigt, dass sie eine vollkommen andere Verhaltensweise der internationalen Staatengemeinschaft verlangten und dass sie mehr Achtung forderten sowie einen wahren Dialog anstelle von aufgezwungenen Lösungen, so Vučić am Montag bei einer Pressekonferenz.
Geringe Wahlbeteiligung
An dem Urnengang nahmen nur 1.567 von insgesamt 45.000 Stimmberechtigten teil. Die Beteiligung unter Serben – laut Belgrad waren es nur 13 Personen – habe gerade einmal 0,029 Prozent betragen, sagte Vučić .
Vor einem weiteren von der EU vermittelten Treffen von Vučić und Kurti in Brüssel am 2. Mai zeigte sich der serbische Präsident wenig optimistisch. „Nichts wird passieren“, meinte er. Auf der Tagesordnung steht der Entwurf eines Statutes der künftigen Gemeinschaft der serbischen Gemeinden, deren Bildung zwischen Belgrad und Prishtina bereits vor zehn Jahren vereinbart worden war.
EU-Sondergesandter
Der EU-Sondergesandte für den Dialog zwischen Belgrad und Prishtina, Miroslav Lajčák, hofft auf die Fortsetzung jenes Normalisierungsprozesses, der Ende Februar mit der Zustimmung der beiden Seiten zu einem EU-Vorschlag begonnen hat. Die Lage im Kosovo bleibe jedoch angespannt und das wechselseitige Vertrauen sei sehr gering, erklärte Lajčák am Montagabend bei einer Diskussion des Österreichischen Instituts für Internationale Politik (oiip) und der Webster Privatuni in Wien.
Der ehemalige slowakische Außenminister ließ wenig Zweifel daran, dass der Kosovo 2022 mehrmals an einer gefährlichen Eskalation vorbeigeschrammt ist: Der Auszug kosovarischer Serben aus staatlichen Institutionen im November habe im Norden des Kosovo ein „ernsthaftes Machtvakuum“ entstehen lassen, das weiter bestünde. Als Barrikaden im Dezember errichtet worden seien, sei man zudem „sehr, sehr nah an Gewalt und Blutvergießen“ gewesen, erzählte er. Mit Unterstützung der USA, der EU-Rechtsstaatlichkeitsmission (EULEX) im Kosovo sowie der Kosovo-Truppe KFOR habe man diese Krise jedoch bewältigen können.
Keine Unterzeichnung
Nachdem die letzten sechs Monate von 2022 von Krisenmanagement geprägt gewesen waren, hätten Verhandlungen nun jedoch dazu geführt, dass der serbische Präsident Aleksandar Vučić und der kosovarische Premier Albin Kurti Ende Februar einem EU-Übereinkommen zu einer Normalisierung zwischen Kosovo und Serbien zugestimmt hätten.
Zu einer formalen Unterzeichnung der Übereinkunft, in der Prishtina vor allem den Schutz der serbischen Minderheit garantiere und Belgrad dafür kosovarische Dokumente anerkennt, war es wegen der serbischen Nichtanerkennung des Kosovo jedoch nicht gekommen. "Vučić konnte keiner Zeremonie zustimmen, wo Serbien und Kosovo gleichwertig behandelt worden wären und Kurti keiner Zeremonie, wo er anders als Vučić behandelt worden wäre", schilderte der Spitzendiplomat.
Das Dokument sei aber durch mündliche Erklärungen dennoch bindend, versicherte Lajčák. Nun drehten sich schwierige Gespräche um die Implementierung, und man diskutiere über die Reihenfolge sowie den zeitlichen Ablauf bei der Umsetzung einzelner Schritte. "Wir haben einen Pfad in Richtung Normalisierung. Aber dieser Pfad ist vermint, und wir müssen vermeiden, auf eine diese Minen zu treten. Denn damit könnte der ganze Prozess explodieren", sagte der EU-Sondergesandte.
Kritik an die EU
Kritik an der Europäischen Union übte bei der Veranstaltung am Montag die Direktorin des Wiener International Institute for Peace (IIP), Stephanie Fenkart. Zwanzig Jahre, nachdem die EU bei einem Gipfeltreffen in Thessaloniki den Westbalkanstaaten versprochen hatte, dass sie künftig ein Teil Europas wären, seien lediglich Slowenien sowie Kroatien EU-Mitgliedsstaaten und habe der Kosovo nicht einmal den EU-Kandidatenstatus. Die NGO-Vertreterin erinnerte aber auch daran, dass nicht nur Serbien eine Anerkennung des Kosovo verweigert habe. „Auch fünf EU-Staaten waren bisher dazu nicht fähig, und es sollte Druck auf sie geben, diese Situation zu lösen“, sagte Fenkart.
Die Situation mit den "Nicht-Anerkennern" (Spanien, Griechenland, Zypern, Slowakei, Rumänien, Anm.) könne nicht auf dieser individuellen Ebene gelöst werden, es bedürfe einer Reform der Regierungsmechanismen in der EU, kommentierte der Präsident des Österreichischen Instituts für Internationale Politik, Wolfgang Petritsch. Dass einzelne Mitgliedsstaaten Blockaden auslösen können, müsse überwunden werden, erklärte der ehemalige Spitzendiplomat und Balkanexperte. Petritsch brachte gleichzeitig seine Hoffnung zum Ausdruck, dass die EU mit ihren Fähigkeiten bei Verhandlungen und Vermittlung nunmehr Kompromisse am Balkan erwirken könne. „2023 ist ein Gelegenheitsfenster, denn 2024 gibt es Wahlen in der EU, in den USA und auch an anderen Orten“, meinte er.
Die einstige südserbische Provinz Kosovo hatte 2008 ihre Unabhängigkeit verkündet, die von Belgrad weiterhin abgelehnt wird. Der von Vučić und Kurti im Februar angenommene westliche Vorschlag zur Normalisierung der Beziehungen soll dazu führen, dass die beiden Staaten einander de facto anerkennen.