Bosnien-Beauftragter Schmidt greift wieder durch
Wenn er in seiner typisch übermütigen Art zum Rednerpult schreitet, hört das ganze Land zu. Und das weiß er auch. „Wenn ich vor die Kameras trete und hier zu Ihnen spreche, wissen Sie, dass ich etwas Wichtiges zu sagen habe“, sagte der Hohe Repräsentant für Bosnien-Herzegowina Christian Schmidt am Donnerstagabend fast spöttisch bei einer Pressekonferenz in der Hauptstadt Sarajevo.
Der ehemalige CDU-Politiker änderte schon bei den Wahlen am 2. Oktober 2022 rückwirkend das Wahlrecht. Damit machte sich Schmidt vor allem bei den Ethno-Nationalisten des Landes beliebt.
Eigentlich wollte er verhindern, dass es zu einer Blockade der Regierungsbildung im bosnisch-kroatischen Landesteil, der Föderation, kommen kann. Zuvor kam es nach den Wahlen 2018 hatte nämlich die kroatisch-nationalistische HDZ jahrelang blockiert, das galt es zu verhindern. Sieben Monate und einer weiteren Verfassungsänderung später stellt sich heraus, dass Schmidts Bestrebungen nicht ganz nach Plan liefen.
Erneute Blockade
Nun kam es aber doch wieder zu einer Blockade, diesmal vonseiten der bosniakisch-nationalistischen Partei SDA. Denn andere Parteien umgingen diese, wollten eine Regierung ohne sie formen. Deswegen musste Schmidt erneut "nachhelfen". Mit seinen sogenannten "Bonner-Befugnissen" setze er vorübergehend die Verfassung außer Kraft und ermöglichte damit die Regierungsbildung. Er wollte damit “den Willen der Wählen“ durchsetzen, Experten sehen das anders.
Bisher waren laut Verfassung die Unterschrift des Präsidenten sowie der beiden Vizepräsidenten, welche die drei Völker des Landes – Bosniaken, Kroaten und Serben – repräsentieren, notwendig. Jetzt braucht es dafür nur einen der beiden Vizepräsidenten.
Die Regierung kann also ohne der Unterschrift des Vizepräsidenten der Bosniaken, Refik Lendo, gebildet werden. Die SDA wird daher nicht in der Regierung sitzen, obwohl sie mit 26 von 98 Abgeordneten die stimmenstärkste Partei im Föderationsparlament ist.
Experten weisen seit Monaten darauf hin, dass Schmidt schon im Oktober die Finger vom Wahlrecht und der Verfassung hätte lassen sollen. “Mit der gestrigen Entscheidung hat Schmidt bewiesen, dass sein Eingreifen falsch war. Seine Änderungen im Oktober haben offensichtlich nichts dazu beigetragen, diese politische Sackgasse zu verhindern“, sagt Politologe Jasmin Mujanović im Gespräch mit dem KURIER.
Angespannte Sitzung
Abgeordnete der bürgerlichen Partei DF und der SDA verließen das Parlament. Die Regierung wurde danach mit 51 von 98 Stimmen bestätigt.
Während hinter den Türen des Parlaments über die Zukunft des Landes, oder zumindest der Entität entschieden wurde, protestierten Hunderte Menschen vor dem Gebäude. Die protestierende Masse beschuldigte Christian Schmidt, er würde ein "Apartheid-Regime" einführen und die Abgeordneten das Land verraten.
Ein Mitglied der neuen Regierung sticht besonders ins Auge: Ramo Isak. Der 49-jährige wurde bereits zwei Mal wegen Bedrohung und "gewalttätigen Verhaltens" rechtskräftig verurteilt.
Ohne HDZ keine Regierung
Wie bereits für seine Entscheidung im vergangenen Jahr wurde Schmidt vor allem von den USA unter Druck gesetzt und von kroatischen Nationalisten bejubelt. Auf der anderen Seite empörte er die Bosniaken und jene, die für ein bürgerliches Bosnien-Herzegowina, wie etwa die DF, einstehen.
“Dies ist eine Demütigung der Bürger und des Staates Bosnien und Herzegowina“, sagte etwa DF-Klubchef Mahir Mešalić während der Sitzung. In der Presseaussendung der Partei wird der "brutalen Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung, mit dem Ziel, Wahlregeln im Interesse der HDZ durchzusetzen", kritisiert. Es sei gegen den Willen der Bürger, heißt es in der Aussendung.
Ungarischer Außenminister abgehört
Rund um Schmidts Entscheidungen gibt es immer wieder Spekulationen. Bestätigt ist jedoch, dass er unter großem Druck der USA, Kroatiens und Ungarns steht. Die kroatische Regierung soll schon im Dezember 2021 für die Wahlgesetzesänderungen lobbyiert haben. Lokalmedien bestätigten zudem bereits, dass der Vorschlag für die Änderung direkt aus dem kroatischen Außenministerium kam.
Ein abgehörtes Gespräch zwischen dem ungarischen Außenminister Peter Szijjarto und Dragan Čović, Präsident der HDZ, enthüllte vergangene Woche Ungarns Rolle. „Wir befürworten die Verabschiedung des neuen Wahlgesetzes in Bosnien und Herzegowina“, sagte Szijjarto beim Gespräch. Er versprach dem kroatischen Nationalisten seine vollste Unterstützung und verpflichtete sich, den ungarischen Premierminister Viktor Orbán darüber zu informieren.
Vor allem die "christlichen Grundlagen", die beide teilen, seien ihm wichtig. „Und natürlich, da wir beide auf christliche Grundlagen und Werten setzen, ist klar, dass wir Sympathie empfinden. Ich kann Ihnen also versprechen, dass Sie unsere Unterstützung haben werden“, hieß es von Szijjatro.
Einen Monat nach diesem Gespräch äußerte Orbán seine berühmte, islamophobe Aussage über die Muslime in Bosnien-Herzegowina. „Die Herausforderung in Bosnien besteht darin, ein Land mit zwei Millionen Muslimen zu integrieren“, sagte der Premier bei einer Pressekonferenz, die international für Aufregung sorgte.
Langfristige Auswirkungen
Eine weitere Änderung des Hohen Repräsentanten soll erst am 1. Mai 2024 in Kraft getreten, vorausgesetzt das Parlament selbst unternimmt davor keine Änderung. Damit sollen in Zukunft weitere Blockaden durch Vetos der Vizepräsidenten nur möglich sein, wenn eine 3/5-Mehrheit der Abgeordneten auch dafür stimmt.
In der derzeitigen Zusammensetzung des Parlaments meinen Experten, das sei nur im Falle der HDZ möglich. Damit hat Schmidt der HDZ in Zukunft Macht eingeräumt. Ohne der kroatisch-nationalistisch Partei wird es in Zukunft keine Regierung geben, heißt die Analyse über Schmidts erneute Änderungen.
“Die HDZ kann durch diese illiberalen Änderungen nicht mehr umgangen werden“, analysiert Mujanović abschließend. “Die Erklärungen des Hohen Repräsentanten sind außerdem nicht wichtig. Er lügt. Wenn es ihm um Deblockaden ging, warum hat er oder sein Vorgänger das nicht in den vergangenen vier Jahren gemacht, als die HDZ die Regierungsbildung blockierte?“, fragt er zudem.
Wenige Stunden, nachdem die Regierung bestätigt wurde, forderte die HDZ weitere Änderungen. Sie wollen das Wahlgesetz der Präsidentschaft ändern. Denn derzeit sitzt Željko Komšić als Vertreter der Kroaten im Staatspräsidium. Da er sich aber als Bürger Bosnien-Herzegowinas sieht und nicht als Kroate, ist er den Nationalisten ein Dorn im Auge.