"Illegal und inakzeptabel": Scharfe Kritik wegen Gewalt an Grenzen
Von Dennis Miskic
„Stell dir vor, du fliehst, nur um hier zu landen“, sagen die Menschen am Balkan oft scherzhaft, wenn sie über ankommende Geflüchtete sprechen. Sie meinen damit die schlechte wirtschaftliche und politische Lage in der Region. Neuerdings beziehen sie sich aber auf etwas anderes: die Folter und Gewalt, der sich Geflüchtete auf dem Weg in die EU aussetzen müssen.
Kürzlich erschienene Berichte dokumentierten erneut unmenschliche Bedingungen für Menschen auf der Flucht, die lange geleugnet worden waren. Das Anti-Folter-Komitee (CPT) des Europarates stellte in Straßburg den Jahresbericht vor, in dem es seine Sorge in der Flüchtlingspolitik zum Ausdruck brachte und scharfe Kritik übte.
„Tatsächlich werden nach Erkenntnissen des CPT regelmäßig illegale Pushback-Praktiken im Zusammenhang mit Zwangsrückführungen und unter bedauernswerten Bedingungen an den Land- und Seegrenzen mehrerer Mitgliedstaaten des Europarates durchgeführt“, ist sie im 55-seitigen Bericht zu lesen.
Kürzlich erneut Berichte über Pushbacks
Der Ausschuss hatte sich oft mit Geflüchteten getroffen, die „glaubwürdige Behauptungen über vorsätzliche körperliche Misshandlungen durch Polizei und Grenzschutz vorgebracht haben“. Schon im Jahresbericht aus dem vergangenen Jahr wurden die illegalen Rückführungen scharf kritisiert. Die Forderung ist die Gleiche: „Pushbacks sind illegal, inakzeptabel und müssen aufhören“.
Die Veröffentlichung reiht sich mit verschiedenen Medienberichten von Pushbacks in Kroatien und Griechenland ein. Menschenrechtsaktivist:innen und NGOs sind empört über die Tortur, die den Geflüchteten an den EU-Außengrenzen widerfährt.
Auf der Insel Lesbos sei es in den letzten Tagen täglich zu Pushbacks gekommen. Ende Februar kam es in Cutro vor Süditalien zu einem Schiffsunglück, bei dem mindestens 90 Menschen ums Leben gekommen sind. Einige der Leichen werden heute noch geborgen.
Besonders über die Situation in Bosnien-Herzegowina gab es viel Empörung, denn hier sei auch Österreich direkt involviert. Am Wochenende sollen 180 Migrant:innen aus Kroatien ins westbosnische Flüchtlingslager Lipa gebracht worden sein.
Das problematische Lager wurde in den letzten Jahren zum Schauplatz einiger Krisen – so auch im Dezember 2020, als es abgebrannt ist. Die genaue Ursache wurde nie geklärt. Auf eine parlamentarische Anfrage von NEOS-Abgeordneten Stephanie Krisper, gab das Innenministerium bekannt, 800.000 € für den Wiederaufbau des Lagers zur Verfügung gestellt zu haben. Mit dem Geld wurden aber lediglich Container aufgestellt, in denen Geflüchtete untergebracht werden. Das Logo des Ministeriums ist ebenfalls am Zaun angebracht.
Petar Rosandić ist der Gründer der SOS Balkanroute und wird nicht müde, auf Österreichs Rolle bei Pushbacks an den EU-Außengrenzen aufmerksam zu machen. „Was auffällt ist, dass sich Österreich sehr fragwürdige Partner sucht“, sagt Rosandić. Er bezieht sich auf Politiker wie Ungarns Premier Viktor Orbán oder den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić. „Das sind die kompromittiertesten Politiker auf dem Balkan“.
Die Rückführungen am Wochenende seien Teil eines neuen Deals zwischen dem kroatischen Innen- und dem bosnischen Sicherheitsministerium. Geflüchtete sollen künftig von der Polizei in das Flüchtlingslager Lipa gebracht werden. Dort werden sie aufgehalten, bis sie zurück ins Heimatland abgeschoben werden. Das verstößt jedoch gegen internationale Rechtsnormen, warnen NGOs wie das Border Violence Monitoring Network.
Geschaffene Konstruktion
Expert:innen sehen jedoch immer mehr den Trend, dass bilaterale Abkommen abgeschlossen werden. So sollen Rückführungen noch effektiver ablaufen. Hier spielt auch Österreich wieder eine Rolle. Das österreichische Innenministerium hat kürzlich eine gemeinsame „Übung“ von bosnischen Beamten und der Spezialeinheit „Cobra“ angekündigt und sich für die effektive Zusammenarbeit im „Kampf gegen illegale Migration“ bedankt. Eine KURIER-Anfrage diesbezüglich blieb unbeantwortet.
So auch die vielfach ausgezeichnete Migrationsforscherin Judith Kohlenberger von der Wirtschaftsuniversität Wien. „Die illegale Migration ist eine Konstruktion. Weil eben keine Möglichkeit geschaffen wird, legal in ein Land zu reisen, um dort einen Asylantrag zu stellen“, sagt die Expertin im Gespräch mit dem KURIER. „Pushbacks wurden mittlerweile institutionalisiert und passieren systematisch. Sie passieren regelmäßig. Das sind keine Ausnahmefälle“.