Die Heilkraft des Räucherns
von Claudia Nichterl
Die Tradition des Räucherns
Seit die Menschheit begann, das Feuer zu nutzen, wurden Kräuter und Harze geräuchert. Vermutlich saßen unsere Vorfahren um das Feuer herum und gelangten duftendes Holz, Kräuter, Samen oder Rinden in das Feuer. Und das zeigte Wirkung. Der Duft belebte, beruhigte oder tat einfach gut. Stellen Sie sich vor, ein Wacholderbusch wurde verbrannt, die ätherischen Harze und Husten wurde besser. Unsere Vorfahren erkannten so nach und nach die Wirkung von Kräutern und sie gaben das Wissen zuerst mündlich und später auch schriftlich weiter.
Bis heute wird Räuchern in allen Kulturen genutzt, ob als Stäbchen (Indien), Harze (Südamerika), Weihrauch und Myrrhe (Christentum) oder in Form von Kräutern (Nordamerika, Europa).
Traditionell diente räuchern, um Lebensmittel und Jagdbeute haltbar zu machen oder um den Duft in den Behausungen zu verbessern. Räucher-Rituale wurden zur medizinischen, religiösen oder magischen Weissagungszwecken eingesetzt. Kleider und Körper wurden parfümiert (per fumum = durch den Rauch), Wendepunkte des Lebens wie Hochzeiten, Taufen oder Begräbnisse wurden durch Räuchern bereichert.
Das Räuchern von Weihrauch half bei Festen den Gestank der Kloaken zu vertreiben. In unseren Breiten brachten die Kelten Opfer für Götter, Ahnen und Naturgeister mittels Räucher-Ritualen dar. In der Mitte der Siedlungen war eine große Feuerstelle, wo bei rituellen Anlässen, einheimische Pflanzen verbrannt und geräuchert wurden.
Hexenkraut oder Bilsenkraut war die wichtigste Ritualpflanze, die Druiden nutzten, um mit Naturgeistern in Kontakt zu treten. Eine zweite heilige Pflanze war die Mistel. Miraculix & Co sammelten Eichenmisteln für den Zaubertrank. Verräuchert beruhigen Misteln das Nervensystem und sollen wunderbare Träume bescheren.
Später mit der Christianisierung wurden die kultischen Räucherungen als heidnisch angesehen und verboten oder in christlicher Weise umgedeutet. Einige Rituale leben vor allem in Nordeuropa und im ländlichen Raum bis heute weiter. In den letzten Jahren sind Räucher-Rituale in den Rauhnächten – der Zeit zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag – wieder populär. Es heißt, in dieser Zeit sind die Tore zur Anderswelt geöffnet. Deshalb zieht der Bauer mit der Räucherpfanne durch Stall und Haus, um Mensch und Tier vor bösen Mächten und Krankheit zu schützen.
Räuchern in der europäischen Medizin
Im Mittelalter räucherte die deutsche Äbtissin, Mystikerin und Naturwissenschaftlerin Hildegard von Bingen mit Hirschhorn, Weihrauch und Kräutern wie Beifuß, Wacholder, Angelikawurzel, Lavendel, Rosmarin, Salbei und Eisenkraut um Luft Geister zu vertreiben und die Atmosphäre zu reinigen.
Wer jähzornig ist, der nehme die Rose und weniger Salbei und zerreibe es zu Pulver.
Diese Empfehlung sprach Hildegard von Bingen bei Jähzorn aus. Und bei Schnupfen gab es dieses Rezept:
Wenn man an starkem Schnupfen leidet, lege man Fenchel und viermal so viel Dill auf einen Dachziegel oder erwärmten Backstein und wende die Kräuter hin und her, dass sie dampfen und atme den Duft durch Nase und Mund ein und esse dann die auf dem Stein erwärmten Kräuter mit Brot.
Im Mittelalter galt der Duft von Fichtenharz als heilsam und wurde bei Seuchen eingesetzt. Unbestritten ist bis heute die Wirkung des verräucherten Harzes, der Nadeln und Zapfen zur Desinfektion und Reinigung von Räumen. Beispiele dieser Art finden sich unzählige in der medizinischen Literatur und Kräuterheilkunde.
Die Rückbesinnung auf die Heilschätze der Natur verhalfen dem Räuchern zu neuer Aufmerksamkeit und Wertigkeit. Aus vielerlei persönlicher Motivation wird heute im Jahreskreis geräuchert. Ein Räucher-Ritual hilft, den Alltag hinter sich zu lassen. beim Blick in Glut und Rauch zur Ruhe zu kommen, tief durchzuatmen, sich geborgen zu fühlen und sich zu erden.
Immer der Nase nach
Gerüche und Düfte prägen uns viel mehr, als uns bewusst ist. Sie wirken direkt über das Gefühlszentrum und wecken Erinnerungen. Visuelle, akustische und haptische Reize werden über die Großhirnrinde verarbeitet, aber Gerüche gehen direkt ins limbische System, das Zentrum, wo Emotionen verarbeitet werden. Düfte sind deshalb eng mit Gefühlen, dem Erinnern und dem vegetativen Nervensystem verbunden. Sie sind maßgeblich daran beteiligt, ob Stress und Sexualhormone tanzen und ob das Herz schneller oder langsamer schlägt. Sie wirken auf Verdauung und Atmung und auf die Ausschüttung von Botenstoffen, die Schmerzen stillen, euphorisierten oder uns hellwach beim Denken machen.
Der Geruchssinn ist unser ältester Sinn und die Nase ist im Vergleich zur Zunge der eigentliche Feinschmecker. Düfte sind sehr komplex und bestehen aus vielen Einzelkomponenten. Schokolade hat rund 500 Komponenten, eine exquisiter Rotwein bringt es auf 700 chemische Signale, die unser Riechorgan fordern. Man schätzt, dass wir mehr als 10.000 Düfte unterscheiden können. Jeder Mensch hat bei bestimmten Düften sofort ein Bild oder Gefühl im Kopf. Befragungen zeigen übrigens, dass der Duft nach frisch geschnittenem Gras oder einer Wiese zu den beliebtesten zählt. Jeder Geruch hat auf jeden Menschen eine ganz spezielle Wirkung und das beste Gedächtnis hat die Nase.
Einfach räuchern mit dem richtigen Zubehör
Räuchern kann auf unterschiedliche Arten durchgeführt werden, je nach Vorliebe, Thema, Jahreszeit oder Räucherwerk. Kreativität ist erlaubt und erwünscht, es gibt kein richtig oder falsch.
- Eine feuerfeste Schale mit Sand ist ideal, um trockene Kräuter und Harze zu räuchern, die zu einem kleinen Ball zusammengedrückt werden. Diesen Ball einfach auf den Sand legen, anzünden, Luft zufächeln und schon steigt eine Duft Wolke auf, die die Raumluft reinigt und wohl tut.
- Ein Weihrauchbrenner oder Räucherstövchen funktioniert ähnlich einer Duftlampe. Man zündet ein Teelicht an und gibt die Kräuter oder Harze direkt auf das Edelstahlsieb über dem Stövchen.
- Selbst gesammelte Wildkräuter sammeln können zu einem Räucherbuschen gebunden werden.
Heilkräuterkundige sammeln rund um die Sonnenwende (21. Juni) und lassen den Buschen mit Margerite, Arnika, Bärlapp, Beifuß, Eisenkraut, Kamille, Königskerze und Ringelblume am 15. August zu Maria Himmelfahrt weihen. Einfach mit einem Baumwoll- oder Hanffaden fest zusammenbinden. Nach der Weihe wird der Kräuterbuschen im Herrgottswinkel der Bauernstube aufgehängt und soll vor Gewitter und Krankheit schützen. Die Kräuter galten als Hausapotheke und wurden bei Bedarf abgezupft. Bei schweren Gewittern wurden einige geweihte Kräuter ins offene Feuer geworfen, um Blitze und Unwetter abzuwehren. Wenn das Vieh krank war, kamen geweihte Kräuter ins Futter und bei kranken Menschen in den Kräuter-Tee oder wurden mit Weihrauch verräuchert.
Tipp für ein persönliches Räucher-Ritual
- Räuchergefäß (Pfanne, feuerfester Topf oder Schale)
- Räucherkohle
- einen Mörser
- Sand
- eine Holzkohlenzange
- Weihrauchbesteck oder einen Löffel
- evtl. eine Feder zum Verteilen des Rauches
- Sand – Element Wasser
- Glühende Kohle – Element Feuer
- Rauch – Element Luft
- Räuchersubstanz – Element Erde
Das 5. Elemente der TEM (Traditionell Europäischen Medizin), ähnlich der TCM oder dem Ayurveda, verkörpert Äther (die Quintessenz).
So funktioniert das persönliche Räucher-Ritual
1. Sand in das feuerfeste Gefäß geben.
2. Mit der Zange die Räucherkohle direkt in die Flamme einer Kerze halten und entzünden.
3. Diese angezündete Kohle zuerst senkrecht in den Sand stecken und später legen, damit sich die Glut ausbreitet.
4. Sobald die Kohle glüht und als ganzes grau ausschaut, die im Mörser zerkleinerten Kräuter und Harze auflegen. Mit einer Feder (oder den Fingern) den Rauch im Raum verteilen.
Vorsicht: Nicht unbeaufsichtigt lassen und bedenken, dass die Kohle einige Zeit nachglüht.
Übung macht den Räuchermeister/die Räuchermeisterin, gutes Gelingen und viel Freude beim Ausprobieren.
Die Immunkraft mit Räuchern stärken
Bewährte Mischungen aus heimischen Heilkräutern stärken das Immunsystem und befreien die Atemwege Lavendelblüten oder Lavendelöl in eine Schale mit Wasser geben und über dem Heizkörper aufstellen.
Räucher-Mischung zu gleichen Teilen (z.B. je 10 g) aus Holunder, Lavendel, Labkraut, Salbei, Quendel, Tausendguldenkraut, dazu je ½ Teil (z.B. 5 g) Angelikasamen und Mistelkraut.
Haus oder Wohnung „ausräuchern“
Wer ein älteres Haus oder eine Wohnung von einem Vormieter übernimmt, sollte es vorher energetisch reinigen, damit z.B. alte Streitenergien oder negative Gefühle gewandelt werden. Anzeichen für solche Energien sind Probleme, Konflikte oder durch den Umzug ausgelöste Schlafstörungen bei Kindern.
Regelmäßiges Räuchern in den eigenen vier Wänden ist aber immer eine gute Idee, es verbreitet eine wohltuende Atmosphäre. Folgende Kräuter können einzeln oder als Mischung geräuchert werden:
- Alantwurzel
- Beifuß
- Engelwurzel
- Fichtenharz
- Lavendel
- Salbei
- Weihrauch
Vor dem Räucher-Ritual aufräumen, ausmisten, die Fenster kippen, damit entfliehen kann, was raus soll. Das Räucher-Ritual im Keller beginnen und dann weiter in den Wohnbereich bis zum Dachboden. Die alten Energien hängen oft in Ecken und Nischen, lassen Sie sich von Ihrem Gefühl leiten und vertrauen Sie Ihrem Gespür, wann es Zeit zum Räuchern ist.