Darf ich bitten? Tanzen ist elegantes Ganzkörpertraining
Von Belinda Fiebiger
„Ich erinnere mich an einen Orthopäden, den ich einmal aufgesucht habe. Er sagte zu mir: ‚Würden alle Leuten regelmäßig tanzen, wäre er längst arbeitslos‘.“ Damit beantwortet Ilona Hron, Aerobic Coordinator und Trainerin bei John Harris, die Frage, wie viel Gesundheit im Tanzen steckt, in zwei kurzen Sätzen.
Ob in der Gruppe, zu zweit oder allein – Tanzen begleitet den Menschen seit jeher: als Freizeitvergnügen und Ritual, als Kunst- oder Therapieform, als Beruf oder Sport. Vielleicht ist es diese Allgegenwart, die den ganzheitlichen Nutzen des Tanzens auf den Menschen verdeckt. „Typischerweise kommt beim Tanzen der ganze Körper in Bewegung, das Herz-Kreislauf-System wird angeregt“, erklärt Ilona Hron.
Zudem sorgen die Drehungen und Richtungswechsel dafür, dass die Balance trainiert werde: „Und immer wenn der Körper herausgefordert wird, diese halten zu müssen, wird die tiefe Muskelschicht – etwa an der Wirbelsäule, an den Knie- oder Fußgelenken – angesteuert.“ Die Sehnen und Bänder werden kräftiger durchblutet und die Gelenke geschmeidiger.
Auch der Bewegungsradius vieler im Alltag oft unterbeanspruchten Muskeln erhöht sich und Verspannungen lösen sich. „Dem nicht genug ist Tanzen eine ausgezeichnete Sturzprophylaxe“, so die Expertin weiter. Denn Gelenke und Muskeln, die ausreichend arbeiten, laufen weniger Gefahr zu versteifen bzw. abzubauen. Schmerzen und Unfälle können so vermieden werden.
Als besonders gelenkschonend gelten Standardtänze aufgrund ihrer langsamen Rhythmen und weichen Bewegungen. Sie sind daher für übergewichtige und ältere Personen geeignet, die etwas für ihre Fitness tun wollen. Wer das Tanzen von der gesellschaftlichen auf eine sportliche Ebene heben möchte, kann aus einer Fülle an Kursen wählen.
„Man muss aber wissen, was man sich zumuten kann“, warnt Ilona Hron. „ Zumba etwa ist beliebt, aber da gibt es viele schnelle Drehungen, Sprünge und Bewegungsabläufe, bei denen man tief in die Knie gehen muss.“
Die Gelenke und Wirbelsäule der Teilnehmer sollten daher schon von bereits trainierten Muskeln umgeben sein. Ist der Körper aber gesund, macht Zumba nicht nur fit und kurbelt die Fettverbrennung an, sondern entfaltet seine eigene Magie.
Teil des Konzepts ist die Partystimmung. Latino-Klassiker wechseln sich mit Pop-Ohrwürmern ab, das macht Laune und erinnert an Urlaub.
Die Expertin führt noch einen Tipp an: „Bei Zumba und anderen Dance-Kursen sind Sportschuhe mit rutschfester Sohle kontraproduktiv. Da kann man bei einer Drehung schnell überknöcheln.“
Den Rhythmus finden
Damit Tanzen seine gesundheitliche Wirkung entfalten kann, ist freilich die Dosis relevant. Als Richtwert nennt Ilona Hron eine Dauer von 30 Minuten oder mehr – und das regelmäßig.
Ein Training muss mindestens zweimal in der Woche dem Körper vorgesetzt werden, damit es greift.
Eifrige treten ein drittes Mal an, wer viermal die Woche trainiere, müsse daneben schon genügend Möglichkeiten zum Entspannen haben. Ein sanfter Einstieg in die Tanz-Fitness kann Oriental Dance sein, macht die John-Harris-Trainerin Lust: „Es führt wunderbar an die Gelenkbewegungen heran, man wird ganz weich. Als Anfänger ist vielleicht eine Anspannung da, aber in weiterer Folge wird man locker und lässt es einfach fließen.“
Allgemein suchen Einsteiger ihren Tanzstil nach musikalischen Vorlieben und der Art der Bewegung – langsam-fließend oder schnell – aus.
„Besonders an Cardio-Dance und Salsa-Aerobic ist, dass beide Körperhälften gleichmäßig gefordert werden. Sehr anspruchsvoll ist Modern Dance, da sind Vorkenntnisse empfehlenswert.“ Was aber alle diese Kurse gemeinsam haben: Wegen ihrer Choreografie trainieren sie auch das Gedächtnis.
Dass Tanzen keine Frage des Alters ist, hat ein Forscherteam aus Magdeburg gezeigt, das 2017 mit dem hoch dotierten „Theo und Friedl Schöller Preis für Alternsforschung“ ausgezeichnet wurde.
Energieaufwand beim Tanzen
Jungbrunnen.
Arbeitsgruppen rund um Sportwissenschaftlerin Anita Hökelmann und Neurowissenschaftler Notger Müller hatten herausgefunden, dass 62- bis 80-Jährige von einem speziellen, dreimal wöchentlich besuchten Tanzprogramm mehr profitierten als von einem klassischen Seniorensporttraining. Im Vergleich alterten die tanzenden Teilnehmer langsamer, ihr Gleichgewichtssinn verbesserte sich entscheidend und schwere Komplikationen bei Stürzen konnten verringert werden.
„Die Kombination aus sportlicher Bewegung, Konzentration auf die richtige Schrittfolge und sozialer Interaktion lässt im Gehirn neue Nervenzellen entstehen“, so Notger Müller.
So kann Tanzen helfen, die Eigenständigkeit im Alter zu erhalten und Demenzerkrankungen zu verzögern. „Tanzen ist ein gemeinsames Erleben, das viele Sinne anspricht“, weiß auch Petra Schön von Lillis Ballroom, einem Wiener Tanzstudio, wo Sehende und Blinde aufeinandertreffen.
Es hält also Körper und Geist auf vielerlei Art fit: Wer will da nicht ein Tänzchen wagen – und ihm Schritt für Schritt viele weitere folgen lassen?