Lifestyle

Die Skepsis gegenüber Impfungen wächst

Mediziner sind beunruhigt über mögliche Folgen einer "wachsenden Impfskepsis insbesondere der Eltern kleiner Kinder", wie es in einem Expertenbericht des Instituts für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der MedUni Wien heißt. "Es besteht oft Verunsicherung und Skepsis gegenüber Impfungen", sagt Institutsleiterin Univ.-Prof. Ursula Wiedermann-Schmidt. "Dabei wird vergessen, dass die hohen Durchimpfungsraten vor vielen Krankheiten erfolgreich schützen." Information und Aufklärung seien wichtig, "damit eine wachsende Impfskepsis erfolgreiche Impfprogramme nicht gefährdet".

"Kein Selbstläufer"

Eine Umfrage im Auftrag des Karl-Landsteiner Instituts für pädiatrische Forschung ergab: Vier Prozent der Bevölkerung sind definitive Impfgegner. 57 Prozent befürworten Schutzimpfungen zwar grundsätzlich, haben aber aus Angst vor Nebenwirkungen bereits Impfungen auch abgelehnt (siehe Grafik). "Verglichen mit Daten aus Deutschland sind diese Werte bei uns höher", so Institutsleiter Prim. Univ.-Prof. Karl Zwiauer, Kinderabteilung im Landesklinikum St. Pölten.

"Impfen ist kein Selbstläufer mehr. Man darf Impfkritiker nicht einfach abtun. Viele Gefahren, die von Infektionskrankheiten ausgehen, werden heute nicht mehr gesehen – und dann fragen sich viele: ,Ist Impfen noch notwendig?‘" Ja, sagt Zwiauer: "Vor Einführung der Impfung gegen das Haemophilus-influenzae-Bakterium (kann zu Hirnhautentzündungen führen, Anm.) habe ich fünf Fälle in einem Jahr gesehen, seit es die Impfung gibt, keinen einzigen mehr." Allerdings: "Aufklärungsgespräche benötigen viel Zeit" – und die sei in Kassenordinationen oft nicht ausreichend vorhanden. "Und es fehlt an ausreichender Honorierung."

Unter Druck gesetzt?

Eine andere Sichtweise hat der Wiener Kinderarzt Reinhard Mitter, der sich "als Impfaufklärer, aber nicht als Impfgegner" bezeichnet: "Eltern werden von vielen Ärzten zum Impfen gedrängt und unter Druck gesetzt. Bei 90 Prozent der Ärzte gibt es zu wenig Aufklärung." Mitter organisiert in seiner Ordination "Impfrunden", in denen er mit Eltern Nutzen und Risiken diskutiert.

"Ich bin für eine redliche Diskussion mit einem breiteren Blick", so Mitter: "Das Ausrotten von Erkrankungen kann kein Gesundheitsziel sein. Überall, wo wir in ein Ökosystem – in diesem Fall das System Mensch/Mikroorganismus – eingreifen, kommt es zu Problemen." Grundsätzlich seien Infektionen positiv für den Körper: "Gerade bei Kinderkrankheiten sind bei guten Lebens- und Heilungsbedingungen Schäden extrem selten. Aber das bedeutet: Kein Fieber senken, dem Körper Zeit lassen zum Auskurieren, ganzheitlich – etwa auch mit Homöopathie und Naturheilkunde – die Abwehr stärken." Damit könnten Komplikationen stark reduziert werden. Mitter: "Außerdem haben Krankheiten immer auch einen Sinn: Sie sollen uns zur Ruhe bringen, auf etwas aufmerksam machen, unser Immunsystem umfassend stärken."

Auf der anderen Seite würde man gesunde Kinder über Impfungen mit Zusatzstoffen und Verunreinigungen belasten, die schädliche Folgen haben können: "Das steht auch in den Beipacktexten." Bei Frühgeburten müsse man besonders vorsichtig sein: "Hier habe ich schon neurologische Veränderungen durch Impfungen gesehen."

Die Kinderärztin Elisabeth Frank, Schulärztin an einer Rudolf-Steiner-Schule, hinterfragte bei einer Diskussion der Bioethikkommission die "kontinuierliche Ausweitung" des Impfplans. Dies komme ihr "sehr merkwürdig" vor (siehe auch re.).

"Erfolgsgeschichte"

"Die Risiken der Erkrankungen sind nachweislich höher als die von Impfnebenwirkungen", entgegnet die Internistin und Elternvertreterin Susanna Schmid: "Impfen ist eine medizinische Erfolgsgeschichte. Bleibende Schäden sind extrem selten." Laut Expertenbericht sind 1990 weltweit 870.000 Kinder unter fünf Jahren an den Folgen einer Maserninfektion gestorben. Durch Impfprogramme habe es einen Rückgang auf 118.000 Todesfälle (Jahr 2008) gegeben. 2010 und 2011 wurden in Österreich sechs Impfschäden bestätigt, die aber zum Teil auf heute nicht mehr verwendete Impfstoffe zurückgehen. Kritiker sagen, schwere Nebenwirkungen würden nicht ausreichend dokumentiert.

Univ.-Prof. Ursula Wiedermann-Schmidt leitet das Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der MedUni Wien und die Spezialambulanz für Impfungen.

Alle Inhalte anzeigen
KURIER: Woran liegt es, dass Impfmüdigkeit offenbar steigt?
Ursula Wiedermann-Schmidt: Die Krankheiten, die durch Impfungen verhindert werden, sind nicht mehr im öffentlichen Bewusstsein. Deshalb wird nicht mehr der Nutzen gesehen, sondern es wird nur über mögliche Nebenwirkungen diskutiert. Hier ist eine Schieflage in der Sichtweise entstanden. In meiner Kindheit kannte ich die Mutter eines gleichaltrigen Kindes, die eine schwere Gehbehinderung aufgrund einer früheren Polioerkrankung hatte. So etwas sieht man heute nicht mehr. Deshalb fehlt vielen heute auch das Verständnis für Impfungen. Im Vordergrund steht heute die Angst vor Nebenwirkungen durch Impfungen – dabei ist die Verträglichkeit der heutigen Impfstoffe extrem hoch und Nebenwirkungen sind äußerst selten.
Für jede im Impfplan empfohlene Impfung gibt es ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis. So erkrankt von 1000 Ungeimpften, die sich mit Masern infizieren, einer an einer Gehirnentzündung als Folge der Infektion. Das Risiko einer solchen Gehirnentzündung nach einer Masernimpfung liegt bei eins zu einer Million, ist also um den Faktor 1000 niedriger.

Kann eine Infektion einen Entwicklungsschub auslösen?
Es gibt keine Daten, die das belegen. Im Gegenteil: Eine schwere Infektion kann für ein Kind traumatisch sein. Es kann zu einem Spitalsaufenthalt kommen, wo das Kind vielleicht von den Eltern getrennt ist und schon deshalb leidet. Abgesehen davon können bestimmte Erreger zu so schweren Krankheitsverläufen führen, dass körperliche oder geistige Dauerschäden die Folge sein können.

Ist der Sechsfach-Impfstoff zu belastend für ein Kleinkind?
Wir hatten in den 60er- und 70er-Jahren Impfstoffe, die bis zu 3500 Partikel – Antigene – enthalten haben, die die schützende Immunantwort auslösen. In dem heutigen Sechsfachimpfstoff sind es weniger als 30. Dadurch wird nur ein Bruchteil der speziellen Abwehrzellen unseres Immunsystem aktiviert, es kommt ganz sicher zu keiner Überlastung.

Die Impfempfehlungen wurden mehrfach erweitert – z. B. um die Rotaviren- oder die Pneumokokkenimpfung. Sind wirklich alle Impfungen notwendig?
Es stimmt, dass der Impfplan relativ dicht ist – besonders im ersten Lebensjahr. Das ist aber auch das Alter, in dem der Schutz vor Erkrankungen besonders wichtig ist, weil das Immunsystem mit der Abwehr von bestimmten Erregern überfordert sein kann. Daher haben die empfohlenen Impfungen ihre Berechtigung, weil das Immunsystem so vorbereitet wird, um Erkrankungen leichter abwehren zu können. Wenn aber die Durchimpfungsrate ausreichend hoch ist und so die Infektionskette reduziert wird, kann auch die Zahl der Teilimpfungen reduziert werden. Dazu müssen aber 85 bis 90 Prozent aller Kinder eines Jahrganges geimpft sein.

Sehr umstritten ist Aluminiumhydroxid als Zusatzstoff.
Schon bei kleinen Kindern ist die wöchentliche Aluminiumaufnahme durch die Nahrung 7- bis 23-mal höher als durch eine Impfung – das haben Untersuchungen des Paul Ehrlich Instituts in Deutschland gezeigt. Die Weltgesundheitsorganisation hat Grenzwerte für die maximal tolerierbare Aluminiumaufnahme herausgegeben. Diese können durch die in der Nahrung und in den Impfstoffen enthaltenen Mengen nie erreicht werden, es besteht also kein Risiko. Genauso ist es mit dem Thema Autismus: Auch hier wurden lange Zusammenhänge mit Impfungen behauptet. Heute ist das dank guter Studien eindeutig widerlegt.

KURIER-Ressortleiterin Gabriele Kuhn diskutiert mit Univ.-Prof. Dr. Ursula Wiedermann-Schmidt (MedUni Wien), Univ.-Prof. Dr. Ingomar Mutz (Pädiater), Dr. Susanne Schmid (Plattform Elterngesundheit). Bereits ab 17 Uhr gibt es die Möglichkeit, seinen Impfpass auf mögliche Lücken kontrollieren zu lassen.

Veranstaltungsort Van-Swieten-Saal der MedUni Wien, Van-Swieten-Gasse 1a, 1090 Wien. Veranstalter: KURIER, Medizinische Universität Wien und Novartis. Der Eintritt ist frei.

Alle Inhalte anzeigen