Leben/Gesellschaft

Wer zahlt für das Leid eines Kindes?

Wenn etwas in der Schule passiert, ist der Nachwuchs gut versichert. So denken viele Eltern. Auch M.P. war dieser Meinung - bis sein Sohn sich im Sportunterricht schwer verletzte. Das nur, weil Lehrerinnen einfachste Sicherheitsvorkehrungen nicht eingehalten hatten. Jetzt weiß der Vater: Selbst wenn Lehrer grob fahrlässig handeln, haftet die Republik nicht. Für die Pflege bezahlten die Eltern einige tausend Euro. "Das kann nicht im Sinn der Verfassung sein", meint Anwalt Gerold Beneder. Er fordert fast 40.000 Euro von der Republik Österreich.

Passiert ist der Unfall vor zwei Jahren. Der Bub war sechs Jahre alt. Im Turnsaal "bastelten" die Lehrerinnen einen Turm. An die Schmalseite eines 1,50 Meter hohen Turnkastens lehnten sie eine Langbank, die nicht verankert wurde. Matten wurden nur ans Ende der Bank gelegt, nicht seitlich. Das, obwohl Lehrer über Sicherheitsvorkehrungen informiert werden, wie der nö. Landesschulrat auf Nachfrage bestätigt.

Auf allen Vieren sollten die Schüler die Bank hochkraxeln. Als der Sechsjährige an der Reihe war, fielen Bank und Kind zu Boden. Die Lehrerin rief die Rettung an - und nicht den Notarzt. Der wurde später von den Eltern alarmiert. Erst der Arzt durfte dem Buben die nötigen Schmerzmittel geben, um ihn ins Spital fahren zu können.

Bruch

Im Wiener AKH wurde ein Drehbruch am linken Oberschenkel festgestellt. Drei Stunden lag der Bub im OP-Saal. Ihm wurde ein "Fixateur externe" eingesetzt: ein Metallgestell, das außen am Schenkel angebracht und mit Schrauben am Knochen verankert wird. In den folgenden 13 Wochen wurde der Alltag für den Jungen zur Qual. Zwei Mal täglich reinigte die Mutter die Wunde - ein äußerst schmerzhafte Prozedur, die jeweils zwei Stunden dauerte.

Die Pflegekosten waren enorm: "Wir benötigten drei Packungen Tupfer am Tag - drei Mal Rezeptgebühr", erzählt der Vater. Die Mutter musste Wochen zu Hause bleiben : "Als Selbstständige sind mir mindestens 10.000 Euro Verdienst entgangen. Wer ersetzt mir das?" Der Bub selbst hat bis heute Probleme, wenn er längere Zeit spielt und Sport macht: Dann schmerzen seine Beine.

Bisher bekam die Familie lediglich 2500 Euro vom Staat - aber nur, nachdem sie sich an die Medien gewandt hatte. Rein rechtlich steht dem Buben nämlich kein Schadenersatz zu. "Laut Gesetz (ASVG §§ 333ff) kann ich gegen den Dienstgeber nicht vorgehen. Die Lehrer schützt das Amtshaftungsgesetz", sagt Beneder. "Eine Haftung gibt es nur, wenn Lehrer Schüler vorsätzlich schädigen, aber nicht, wenn sie grob fahrlässig handeln."

Trotz der Gesetzeslage stellt er Forderungen an die Republik. Die Begründung des Anwalts: "Das Haftungsprivileg bedeutet nur, dass die Schüler kein Schmerzensgeld erhalten. Im Gesetz steht aber nicht, dass Eltern den finanziellen Schaden nicht erstattet bekommen. Und: Es ist sicher nicht verfassungskonform, dass der Staat nur haftet, wenn Lehrer Schüler absichtlich verletzen. Wir verlangen deshalb 20.000 Euro Schmerzensgeld."

Verfassungsgericht

Beneder stellte der Finanzprokuratur jetzt eine Rechnung über insgesamt 39.394,17 Euro - diese setzt sich aus dem Schmerzensgeld, Verdienstentgang und Pflegekosten zusammen.

Bis Anfang 2012 wird entschieden, ob die Republik Schadenersatz leistet. Falls nicht, will Beneder vor den Verfassungsgerichtshof. Seine Chancen stehen gut. Der renommierte Verfassungsjurist Heinz Mayer meint auf KURIER-Nachfrage, "dass das Haftungsprivileg des Dienstgebers bei der Amtshaftung keine Rolle spielen kann." Sprich: Die Republik muss seiner Meinung nach haften.