Leben/Gesellschaft

Weltidee aus Österreich: SOS-Kinderdorf wird 70 Jahre

Die Welt hat sich verändert und mit ihr die Aufgaben. Es gibt in Österreich kaum mehr Waisenkinder, um die sich SOS-Kinderdorf kümmern muss. Die Organisation steht zu ihrem 70. Geburtstag vor neuen Herausforderungen. Weltweit wächst jedes zehnte Kind ohne echte familiäre Fürsorge auf. In Österreich leben viele der 1,5 Millionen Kinder und Jugendlichen in einer Familie, die es nicht schafft. Eltern, die mit dem Leben kämpfen, mit Arbeitslosigkeit, Krankheit, Armut, der Wohnsituation, oft auch mit ihrem Unvermögen. Die unschuldigen Kinder leiden – und scheitern oft in Schule, am sozialen Umgang und verzweifeln am Leben.

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Als der 30-jährige Medizinstudent Hermann Gmeiner am 25. April 1949 in Innsbruck „Societas Socialis“ gründet, geht es um Waisen, um verwahrloste Kriegswaisen. Er selbst hat nur 600 Schilling, aber ein Team von Pionierinnen und Unterstützern. Und eine Vision: Jedes Kind soll in einer Familie aufwachsen. Jedem Kind ein liebevolles Zuhause. Er leitet die vier Prinzipien des SOS-Kinderdorfes, wie der Verein bald heißt, davon ab: Mutter – Geschwister – Haus – Dorf.

Geborgenheit

Seitdem lebten in Österreich etwa 12.000 Kinder in einem solchen Zuhause. Im Vorjahr betreute SOS in Familien und Wohngruppen 1.800 Kinder, weitere 1.300 mobil und in Krisenpflegefamilien. In den beiden Ambulatorien Wien und Klagenfurt erhielten 2.500 Beratung, Diagnose und Therapie. Und bei „147 Rat auf Draht“ erledigte man über 80.000 Beratungen per Chat oder Telefon (Kinderdorf ist seit 2014 Träger der anonymen Gratis-24 Stunden-Notrufnummer für Kinder und Jugendliche).

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Die ersten 40 Kinder zogen 1951 mit SOS-Müttern im ersten Kinderdorf Imst ein. Die Idee wurde schnell groß, und das hatte drei Gründe: Die Vision einer endgültigen Unterbringung dieser Kinder ohne aufreibende Suche nach Adoptiveltern war neu. Sie blieb lange das Alleinstellungsmerkmal von SOS. Zweitens war Gmeiner ein Marketinggenie seiner Zeit, die Sprüche kamen gut an: „Gebt mir nur einen Schilling im Monat.“ Und drittens spendeten die Menschen in der Nachkriegszeit trotz – oder wegen – der eigenen Armut viel.

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1959 gab es auch Kinderdörfer in Deutschland, Frankreich und Italien, 1963 das erste außerhalb Europas. Am Beginn des Vietnam-Kriegs schickte Gmeiner in einer spektakulären Aktion ein Schiff mit Fertighäusern nach Südvietnam. Und übertrug einem 26-Jährigen die Aufgabe, im Kriegsland ein SOS-Kinderdorf zu errichten.

Zwei neue Ären

Dieser junge Helmut Kutin war 1953 selbst als Halbwaise ins Kinderdorf Imst gekommen. Er rettete in Vietnam über 500 Kinder und baute zwei Dörfer auf, dann weitere in Asien. Bis ihn Gmeiner 1985 zurück nach Innsbruck berief. Er machte ihn zu seinem Nachfolger – gezeichnet von Krankheit und zunehmender Verbitterung. Neben dem Strahlen hatte Gmeiner eine schwierige Seite, die wohl aus Respekt erst vor einigen Jahren erforscht wurde. Seine Führung sei autoritär gewesen, er sah pädagogische Schulungen für Kinderdorfmütter skeptisch und wollte die „Gesellschaft nach dem Krieg rekatholisieren“, fasst eine Studie zusammen, die SOS-Kinderdorf 2014 zur Aufarbeitung der eigenen Geschichte beauftragt hat.

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Am 26. April 1986 starb Hermann Gmeiner.

Der neue Präsident Kutin übernahm ein riesiges, aber viel zu schnell gewachsenes Werk. Er musste die Strukturen nachschärfen. Sein Credo war „nicht von Innsbruck aus die Welt zu bewerten“, seine Aufgabe der Zusammenhalt der weltweiten Organisation. Doch mitten in dieser Arbeit begann sich die Welt neu zu ordnen.

Mit den Umbrüchen um 1990 konnte Kinderdorf die Arbeit im ehemaligen Ostblock aufnehmen. Für Kutin bedeutete die neue Zeit nach elf Jahren Einreiseverbot die emotionale Rückkehr nach Vietnam. Er, der noch im Krieg den höchsten Orden Südvietnams erhalten hatte, bekam nun die höchste Auszeichnung des kommunistischen Nordvietnams. Als wahrscheinlich einziger Mensch und das sagt viel über die Stellung des Kinderdorfs.

Spendenchallenge

Gmeiner und er vernetzten sich stets für das Werk, von Dalai Lama bis Mutter Teresa, von Königen bis Präsidenten, Humanisten bis Despoten. Kutin sagte dazu in seiner Biografie („Wie aus einer zerstörten Kindheit ein gutes Leben wurde“, Metroverlag): „Die Politiker schmückten sich mit uns, wir bekamen dafür Unterstützung für unsere Sache.“

Heute ist SOS-Kinderdorf in 135 Ländern aktiv, über Religionen, Kulturen und Gesellschaften hinweg. Es ist Österreichs international verzweigtestes Unternehmenund das größte private Sozialwerk der Welt, geführt von Innsbruck aus.

Finanziert wird es noch immer zu einem großen Teil von Kleinspendern und vier Millionen Kinderdorf-Freunden. Auch der KURIER ist im Kinderdorf Pinkafeld Hauspate. Zum 70. Geburtstags startet am Donnerstag, dem Gründungstag 25. April, die 70-tägige Spendenchallenge „Jetzt Kindheit retten“. (sos-kinderdorf.at/kindheit-retten)

Neben SOS-Nothilfeprogrammen, von denen man seit 1988 genau 95 nach Erdbeben, Überschwemmungen oder Kriegen startete (aktuelle in Mosambik), braucht man das Geld auch für die neuen Herausforderungen, die die Welt ihr aufgibt. Gmeiner formulierte das Wort „Sozialwaisen“ erstmals 1967 in der Vereinszeitung.

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Seit gut 20 Jahren konzentriert sich die Organisation auf die Stärkung von Familien und so die bewusste Hinwendung zur Prävention, damit Kinder gar nicht erst in ein Kinderdorf müssen. Gerade in armen Ländern merkt man den Bedarf in der Nachbarschaft von Kinderdörfern, es entstanden Kindergärten, Schulen, Sozial- und Ausbildungszentren, medizinische Stationen. Heute bildet diese Arbeit den zweiten Schwerpunkt, von dem 3,6 Millionen Menschen profitierten.

Auch in Österreich öffnet sich SOS der Nachbarschaft, in doppeltem Sinn. 2006 kam das erste städtische Kinderdorf in Wien mit dezentralen Wohnungen, Tür an Tür mit Wiener Familien. Ebenso in Osttirol. Zur Prävention wurde die mobile und ambulante Begleitung junger Menschen und Familien stark ausgebaut. Denn eine Familie, in der Kinder gut bei den Eltern leben und aufwachsen, entspricht der Grundidee: Jedem Kind ein liebevolles Zuhause.

Die Bilanz dieser 70 Jahre ist, fast selbstverständlich, mit Preisen gespickt. Gmeiner selbst war schon 1962 für den Friedens-Nobelpreisnominiert. Seitdem wird SOS regelmäßig nominiert.

Ein Vorschlagsrecht dafür hat die Bundesregierung.

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