Was man jetzt über El Niño wissen muss
Die Schamanen in Peru sind beunruhigt. Von überall her sind sie zusammengekommen. Jeder hat seinen Schutzheiligen mitgebracht, damit er sie beschützt vor dem bösen Kind, das Peru Schaden zufügen wird", sagen sie. Das böse Kind – das ist El Niño ("das Christkind", weil es üblicherweise rund um Weihnachten auftritt), ein Wetterphänomen, das vielen Regionen extreme Niederschläge bringt – oder gar keine. Nun beobachtet man wieder einmal die verräterische Warmwasserzunge vor der Küste Südamerikas, und alle Zeichen deuten auf einen Super-El-Niño.
"El Niño ist schon da", bestätigt der Klimaforscher Alexander Orlik von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik. Seit Februar sprechen die Messwerte in der Äquatorregion des Pazifik eine deutliche Sprache: Teile des Meeres waren bis zu sechs Grad wärmer als normal, und die atmosphärischen Bedingungen sowie die Stärke der Westwinde deuten darauf hin, dass sogar der schlimme El Niño von 1997/98 übertroffen wird, der weltweit für Klima-Kapriolen sorgte.
Alle Modelle – das europäische, das amerikanische der NASA, das australische, das britische, das japanische – zeigen, dass der Höhepunkt von Dezember bis Februar eintreten wird, sagt Orlik. Die Daten für ihre Prognosen erhalten die Forscher von 70 fest verankerten Bojen im Pazifik. "Dazu kommen Satelliten, Treibbojen, Sensoren auf Schiffen und Pegelstationen an Land." Trotzdem haben die Meteorologen ihre liebe Not mit der Vorhersage: "Es ist schwierig, weil nicht jeder El Niño gleich abläuft", sagt Orlik.
Was die Wissenschaftler aber sicher wissen: Einige Wetter-Extreme der jüngsten Vergangenheit gehen auf das Konto des aktuellen El Niño:
Die anhaltenden Waldbrände in Indonesien wurden ebenso durch die vom El Niño verursachte Trockenheit in Südostasien verstärkt, wie der starke Hurrikan Patricia, der Ende Oktober vom Pazifik aus über Mexiko fegte.
In Australien war der September bereits der dritttrockenste seit Beginn der Aufzeichnungen – und die Meteorologen erwarten in den kommenden Wochen noch mehr Hitze und Dürre.Auf den ersten Blick positiv könnte sich der starke El Niño auf das seit Jahren unter einer Dürre leidende Kalifornien auswirken. Denn El Niños bringt dort meist verstärkten Regen. Diesen Winter könnte gerade das fatal sein: Die Dürre hat den Boden steinhart werden lassen, sodass er die erwarteten starken Regenfälle gar nicht aufnehmen kann. Die Folgen: Sturzfluten und Erdrutsche.
Die Meeresbewohner im tropischen Pazifik bekommen die negativen Folgen ebenfalls bereits zu spüren: Weil das warme Wasser den Nachschub kalten, nährstoffreichen Tiefenwassers vor der Küste Südamerikas blockiert, fehlt den Planktonalgen die Nahrung. Als Folge brechen ihre Populationen ein. Das hat Konsequenzen für die gesamte Nahrungskette – für Fische, Seelöwen, Robben, Galapagos-Pinguine ...
Im Vorjahr legten Forscher erstmals eine Weltkarte vor, die die Auswirkungen von El Niño auf die globalen Ernteerträge bei Mais, Reis, Weizen und Sojabohnen zeigt: Demnach hat das Christkind negative Folgen für den Mais-Anbau im Südosten der USA, in China, im Osten und Westen Afrikas und in Indonesien. Auch die Erträge bei Sojabohnen in Indien und Teilen Chinas leiden. Dagegen fahren Maisbauern in Brasilien und Argentinien bessere Ernten ein. Insgesamt sorge das Klima-Phänomen auf bis zu 30 bis 36 Prozent der weltweiten Anbauflächen für höhere Ernteerträge und habe damit auf mehr Agrargebieten positive als negative Effekte.
Und Europa? Auch hier spürt man El Niño, haben statistische Auswertungen ergeben. Ein bisschen zumindest. In Nordeuropa bringt das Christkind tendenziell kühle und trockene Winter, während der Mittelmeerraum zu milden und feuchten Wetterlagen tendiert. Vermutlich gibt es auch eine Verbindung zu stärkeren Regenfällen im Frühjahr, die sich in einem breiten Band von Südengland nach Zentralasien ziehen.