Jugendliche sollen "denken lernen"
Von Ute Brühl
Nur drei Sätze einer 17-Jährigen genügten, um in Deutschland eine Bildungsdebatte auszulösen: "Ich bin fast 18 und hab’ keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann eine Gedichtanalyse schreiben. In 4 Sprachen", twitterte Naina, die demnächst Abitur (Matura) macht.
Ihr Vorwurf, dass Schule nicht aufs Leben vorbereitet, wurde 14.000-mal geteilt und 25.000-mal favorisiert. Nicht alle stimmen ihr zu: "13 Jahre nach der Schule: Das Leben lernt man recht einfach selbst. Was die Schule einem beibringt, ist Lernen lernen", antwortet ein Follower. Andere wiederum sagen: "Genauso ist es."
Die Diskussion ist mittlerweile in Österreich angelangt. Christoph Frühlinger (18, AHS) versteht Naina: "Auch ich kann Gedichte interpretieren. Doch als mir mein Rad gestohlen wurde und ich den Zeitwert berechnen sollte, musste ich passen. HAK-Absolventen können das besser." Auf eine gute Allgemeinbildung will er aber nicht verzichten: "Es braucht beides."
Maximilian Gnesda, 18, ist HAK-Schüler und froh, "dass wir erlerntes Wissen praktisch anwenden können. Allgemeinwissen bringt man sich selbst bei."
Doch nützt ihm dieses Wissen auch noch, wenn es darum geht, in 20 Jahren die Probleme zu lösen? "Wohl kaum", sagt die klinische Psychologin Regina Fenk. Denn: "Wissen über Steuern oder Versicherungen hat eine kurze Halbwertszeit."
Die Aufgabe der Schule sei es, dass Schüler denken lernen. Das heißt: "Gelegenheit geben, das Denken zu trainieren. Schüler sollen sich Informationen holen, diese bewerten und die richtigen Schlüsse daraus ziehen können. Und in der Folge einen eigenen Standpunkt formulieren."
Selbstvertrauen
Eine Fähigkeit, mit der junge Menschen später im Beruf erfolgreich sein können. Davon ist Sonja Lengauer von der Industriellenvereinigung überzeugt: "Wer Selbstvertrauen hat und gelernt hat, sich mit komplexen Themen auseinanderzusetzen, ist gut aufs Leben vorbereitet."
Doch um diese Kompetenzen zu erwerben, braucht es Zeit: "Und die fehlt oft", wie Lara Zoe Ritter (15, AHS) kritisiert: "Der straffe Lehrplan lässt nicht zu, dass auf jeden eingegangen wird."
Gedichte zu interpretieren sei jedenfalls ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum kritischen Denken, so Sophie Lackner (16, AHS): "Ich lerne, zwischen den Zeilen zu lesen. Das ist für jeden Text wichtig." Doch leider "werde immer noch viel Faktenwissen eingefordert, das ich nie wieder brauche", kritisiert Katharina Belihart (18, HAK). Auch Donjeta Saline (18, AHS) stellt sich die Frage, "ob wir das lernen, was wir später brauchen. Vieles, wie die politische Bildung, kommt zu kurz."
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Diese Meldung sorgte bei vielen Bildungsexperten für Entsetzen: PISA-Champion Finnland plant, die Schreibschrift abzuschaffen. Ab Herbst 2016 wird das Erlernen der Schreibschrift aus den Lehrplänen der Volksschulen gestrichen – die Schüler sollen stattdessen das schnelle und richtige Tippen auf der Tablet- und Computertastatur trainieren. Nur die Druckschrift soll geübt werden.
Das Lernen der Schreibschrift raube zu viel Zeit, außerdem sei sie für viele Schüler motorisch zu kompliziert, klagten finnische Lehrer. „Das ist der Kniefall vor der fortschreitenden motorischen Verarmung unserer jungen Leute“, empört sich der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Josef Kraus.
Auch bei österreichischen Bildungsexperten stößt die finnische Entscheidung, die bereits in den USA und der Schweiz diskutiert wurde, auf Kritik. Paul Kimberger, Vorsitzender der Gewerkschaft für Pflichtschullehrer, hält das Ende der Schreibschrift für einen „gravierenden Fehler“: „Die Handschrift ist ein Ausdruck der Individualität, die in allen Bereichen zunehmend verloren geht.“ Die Schreibschrift sei eine der großen Kulturtechniken, die keineswegs aufgegeben werden dürfe. „Ich bin wirklich kein Gegner der digitalen Welt. Man muss sie in alle Bereiche integrieren – aber bitte mit Maß und Ziel.“